Ein Toter steht in Münchens Wohnungen. Das ist der Weihnachtsbaum. Erst gekauft, geschmückt, besungen, dann weggeworfen – wie manchem Firmenchef ergeht es ihm, könnte man sagen, Winterkorn z. B., VW, oder Stadler, AUDI, wenn es hier um Wirtschaft ginge, aber es geht hier um weit Feineres. Um die Psyche der Zimmerpflanzen zum Beispiel. Wir kennen sie bestens, wir sprechen ja täglich mit ihnen! Sie mögen ihn nicht, den Weihnachtsbaum, haben sie geflüstert, sie tuscheln hinter seinem Rücken, sie sprechen ihn an, aber er antwortet nicht, leblos wie er ist. Er ist ein Fremder, ein abgehackter, entwurzelter Geselle, der stachelig vor sich hinstarrt. Manchem Vater und Ehemann gleich, der an Weihnachten notorisch nach Innen emigriert. Und sie ahnen vielleicht, dass sie in Kürze auf städtischen Müllbergen landen werden, die Münchner Weihnachts- und ihre etwa 25 Millionen deutschen Landsbäume, verbrannt ohne Pardon und Bedauern selbstverständlich von denselben Menschen, die um die gerodeten Pflanzen am Amazonas trauern. Der Weihnachtsbaum in spe, wie er in Zwangskulturen aufgezogen wird, hat eine schwache Lobby. Das Finanzielle spricht zu sehr für ihn! 

Dabei ist, literarisch gesehen, auch das Image der Zimmerpflanze nicht das allerbeste. Der Ire George B. Shaw etwa (Verfasser des klugen Werkes „Wegweiser für die intelligente Frau zum Sozialismus und Kapitalismus“) hielt Gummibaum, Zimmerlinde und Genossinnen für schlichtweg stillos im Inneren eines Hauses. Und sein britischer Kollege George „1984“ Orwell schilderte in den „Wonnen der Aspidistra“ ironisch die Sehnsucht nach bürgerlichem Wohlleben mit spießiger Zimmer- Pflanze. Die Eingrenzung der wilden Natur durch Heizkörper und Bücherwand!

Apropos „Wohlleben“. Ist das nicht dieser schreibende Forstmann mit dem goldenen Daumen, der die Gespräche der Bäume abgehört hat? – Weiß er nicht auch, was die kleine süße Fichte geflüstert hat, bevor die Motorsäge kam? Ja, das Pflanzlich-Tierische ist schwer en vogue, die Bäume, die Bienen und Vögel ohnehin, ihre Nähe zum Menschen biologisch greifbar, emotional bestechend, was man auch am Deutschen Dichter Jan Wagner sehen kann, der mit Poesie („Regentonnenvariationen“) über Unkraut Literaturpreise einheimst. Während wir Normalos viel lieber mit Laptop und Smartphone kommunizieren als mit unseresgleichen, entdecken wir gleichzeitig die Liebe zu Pflanze und Tier, lauschen ihren Signalen, folgen sensibel ihren Spuren. Und deshalb: Der Gesang über den deutschen „Oh Tannenbaum“, jener Weihnachts-Kultsong über den immer Grünen, zu jeder Jahreszeit Präsenten, muss uns jetzt, nach dem Fest, vor massenhaftem Baummüll wie billiger Hohn erscheinen. Aber immer noch besser als jenes ganz offensichtlich erotisch anrüchige „Schneeflöckchen, Weißröckchen“: Oha, Index, subito!
WH.