„Heimrad Bäcker. es kann sein, dass man uns nicht töten wird und uns erlauben wird, zu leben“ – eine Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum

Von Katrin Diehl

Vergessen und erinnern sind nicht unbedingt Gegensätze. Fast  lässt sich sagen, dass jedes Vergessen in  einem gewissen Sinne auch ein Erinnern ist. Womit man schnell beim Thema Verdrängung wäre, die – wir wissen das alle – Folgen nach sich zieht.

Und so könnte es also sein, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Quasi-Verschwinden des Schriftstellers und Verlegers Heimrad Bäcker aus dem feuilletonistischen Bewusstsein – denn immerhin  gilt er als „ein wichtiger Vertreter der konkreten Poesie und Impulsgeber der literarischen Avantgarde Österreichs nach 1945“ – und der Tatsache, dass sich eben dieser Heimrad Bäcker auf einmalige wie beeindruckende Weise und ganz einzelgängerisch sehr früh für die Verbrechen der Nationalsozialisten sowie die Menschen, Jüdinnen und Juden, die ihnen ausgesetzt waren,  interessiert hat.  Dabei war es natürlich mehr als Interesse, was ihn da getrieben hat, und es war auch mehr als eine Dokumentation, die er sehr zaghaft und erst nach Jahren zum ersten Mal hat an die Öffentlichkeit kommen lassen, und begonnen hatte er mit seiner Recherche ja auch bereits schon kurz nach ‘45, ganz für sich, auf der Suche nach Bildern, Stimmen, Dokumenten, Spuren. Der „kontaminierte“ Ort – diese Bezeichnung stammt von dem Journalisten und Autor Martin Pollack – auf den sich Bäcker konzentrierte, war das oberösterreichische Mauthausen, dort das ehemalige Konzentrationslager, das zwar – weil die Alliierten das so wollten – bereits 1949 zu einer Gedenkstätte geworden war, das aber damals als bereits verkleinerter Baukomplex nicht eben groß auf sich aufmerksam machte. Für die Stimmen der Wenigen, die aus bloßem Zufall den Holocaust überlebt hatten, den traumatisierten Zeitzeugen, hatte zu dieser Zeit ohnehin kaum jemand ein Ohr. Man war mit anderem beschäftigt und wollte solche „Sachen“ jetzt nicht hören.

1925 in Wien geboren war Bäcker von 1938 an bei der Hitler-Jugend, mit 18 Jahren Parteimitglied gewesen. Man hätte das unter der Rubrik „jugendliche Fehlleistungen“ verbuchen können, aber Bäcker tickte anders. Ihn hat das gequält, wie schwach, wie leicht manipulierbar er gewesen war, wie er einfach mitgemacht hatte. Nach der Befreiung haben die Amerikaner den jungen Mann zur Arbeit ins Lager Mauthausen abkommandiert, wo er erkennt, dass nichts mehr gut zu machen ist.

Bäcker studiert, promoviert, beginnt schnell literarisch zu arbeiten und stellt sich – für alle unbemerkt und um dem inneren Druck etwas entgegen halten zu können – seinem „Lebensthema“. Er sammelt Dokumente, fotografiert, schneidet Zeitungsartikel aus, geht Orte ab…, braucht Jahrzehnte bis er aus diesem „Material“ etwas machen kann, das seinen Ansprüchen, auch den künstlerischen, genügt. Es geht um Darstellbarkeit und immer auch um Dokumentation, die sich dem Vergessen entgegen stemmt.

Die Ausstellung „Heimrad Bäcker. es kann sein, dass man uns nicht töten wird und uns erlauben wird, zu leben“ zeigt Bestände aus dem Nachlass von Heimrad Bäcker, der sich seit 2015 – Bäcker ist 2003 gestorben – im mumok, dem Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien, befindet und der aus Fotografien, aus Schreibnotizen, Texten und Fundstücken besteht (im mumok waren die Exponate bereits bis Februar 2020 zu sehen gewesen).

Die ausgestellten Texte  stammen zum großen Teil aus Bäckers Projekt „nachschrift“, zwei Buchbänden, in die er ausgewählte, einzelne Zitate von Tätern und Opfern auf die weißen Seiten setzte. „Es genügt, bei der Sprache zu bleiben, die in den Dokumenten aufbewahrt ist“, hat Bäcker diese Art der Demonstration beschrieben. Kollegen von ihm bezeichneten „nachschrift“ als das „Hauptwerk der konkreten Poesie“. Es ist so singulär wie extrem. Einmal läuft über ein Blatt die Feststellung: „etwa 80 der allerschwächsten wurden in den schnee gelegt.“

Auf den Papieren erscheinen Listen, aufgereihte Zahlen, Definitionen, Abkürzungen …, alle Ausdruck größter Genauigkeit wie größter Unmenschlichkeit, Ausdruck auch von Geschichten, die fehlen.

Die Fotografien, viele in schwarzweiß, aufgenommen auf dem Gelände des ehemaligen KZs Mauthausen sowie auf dem des Zweiglagers Gusen, sind Abbild einer akribischen Spurensuche, auch dort, wo die Natur beginnt, sich ihren Platz zurück zu erobern. Bäcker beginnt „Fundstücke“ zu sammeln, Metallteile, die für irgendetwas ihren Nutzen hatten, selbstgezimmerte Bänke, auf denen es sich sitzen ließ. Auch sie sind in der Ausstellung zu sehen, die uns in eine Zeit zurückführt, in der das Thema „Erinnerungskultur“ so noch nicht existierte. „Wir kommen in diese Präsentation mit unserem Wissen, mit unserem Blick, der hoch aufgeladen ist“, sagt die Direktorin des NS-Dokumentationszentrums Mirjam Zadoff. Da müsse man erst einmal durchatmen, müsse sich auf diese kleinformatigen Fotografien, diese Exponate ohne Erklärung einlassen. „Das ist ein anderer Zugang.“ „Innehalten und nachdenken“ hatte bereits Hannah Arendt dem Betrachter, der erkennen will, geraten.