Tom Hillenbrand bei einer Lesung über seinen neuen Roman

Von Sevda Cakir

„Verbrechen kann manchmal auch karriereförderlich sein“ – mit diesen Worten bezieht sich der Münchner Bestseller-Autor auf den Werdegang der „Madonna Lisa“, kurz: Mona Lisa, des berühmtesten Gemäldes der Welt. Als am 22. August 1911 Leonardo da Vincis Porträt „einfach“ aus dem Louvre gestohlen wird, kennen nur Kunstinteressierte das Motiv, erzählte Tom Hillenbrand vergangenes Jahr beim Literaturfestival „Dachau liest“ über seine Recherchen. 1911 ist die Mona Lisa ein Kultbild für Insider. Doch das ändert sich schlagartig mit dem Raub. Die in dem Werk verewigte „La Joconde“, vermutlich die Frau des Seidenhändlers Francesco di Giocondo, wird über Nacht zu dem, was heutzutage einem „Meme“ gleichkommt, so der Schriftsteller zu seinem Buch „Die Erfindung des Lächelns“. Nur wurde dieser Insiderwitz (Meme) nicht über das heutige Internet verbreitet, sondern über Zeitungen, Postkarten, Notenblätter oder Stummfilme in den Kinos. Tom Hillenbrand rekonstruiert auf eine unfassbar witzige Art den Hype um dieses Kunstwerk, der bis heute anhält.

Der Künstler Pablo Picasso wird des Diebstahls verdächtigt, was in der Wirklichkeit auch echt so war. In seinem historischen Detektivroman füllt Tom Hillenbrand die zwei Jahre, die zwischen dem Verschwinden und Wiederauftauchen des berühmt gewordenen Lächelns lagen, mit seinen eigenen Hypothesen. Das Verweilen in der Belle Époque, verrät der Autor seinem Publikum, habe ihm am meisten wegen der „Funfacts“ Spaß gemacht. Sein Roman sei zwar fiktiv, aber die darin vorkommenden Schauplätze, wie die Cafés im Viertel Montparnasse, in denen Picasso und seine Freund*innen gerne abhingen, gäbe es noch heute. Die Akteur*innen in Toms Version, die an dem Raub beteiligt waren, sind historisch belegt. So kämpfen im Buch die Anarchist*innen, die tatsächlich das „Getaway Car“ erfinden, gegen die angeblich beste Polizei des Planeten, zu jener Zeit, als Paris noch die Hauptstadt der Welt ist. Eine weitere Anekdote (Funfact) gibt Hillenbrand an diesem Abend zum Besten: Der anarchistische Bandenkopf Jules Bonnot sei der ehemalige Chauffeur von Sir Arthur Conan Doyle gewesen.

Mit den Autobandit*innen, Künstler*innen, dem Dichter Guillaume Apollinaire, dem Nichtsnutz und Anstreicher Vincenzo, der geflohenen Russin Jelena, der Tänzerin Isadora Duncan, die, wie Aleister Crowley, dem Spiritismus verfallen ist, entsteht im Buch ein spektakuläres Portrait des Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Obwohl sich Kommissar Juhel Lenoir des neuen biometrischen Erkennungsverfahrens des Kriminalexperten Alphonse Bertillon bedient, sind seine Ermittlungen vergebens. Doch „La Joconde“ kehrt überraschend zurück und bekommt einen Ehrenplatz an den Wänden des Louvre.

Tom Hillenbrand schickt seine Leserschaft auf die Suche nach der allgegenwärtigen Mona Lisa. Sie darf dabei hautnah den Charakteren folgen, die die Phänomene der Vergangenheit erzählen. Diese beeinflussen auch unsere globale Gegenwart: Kunstraub und Raubkunst, soziale Ungerechtigkeit und schillerndes Leben.

Tom Hillenbrand:
Die Erfindung des Lächelns
Roman, 512 S., gebunden
Kiepenheuer & Witsch
Köln 2023
25 Euro