„Verbotene Bücher. Moral. Politik. Religion.“, eine Ausstellung zum Thema „Zensur“ im Literaturhaus München

Von Katrin Diehl

Irgendwo ist immer Zensur. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute ist: Zensur ist kein sehr stabiles Konstrukt, sie kann sich selten als Siegerin fühlen und ein gutes Image hat sie auch nicht gerade. Was zur Folge hat, dass es offiziell weder in China noch in Russland, noch in der Türkei, noch in Katar … Zensur gibt.

In der Ausstellung „Verbotene Bücher. Moral. Politik. Religion.“, die noch bis zum 4. Februar im Literaturhaus zu sehen ist, geht es genau darum: um Zensur und immer wieder Zensur. Zensur hat viel mit Macht zu tun, und Zensur hinterlässt Spuren. So ist es gar nicht so einfach, ein Buch, wenn es erst einmal da ist, völlig aus der Welt zu schaffen, nicht einmal, wenn man es – begleitet von viel Gejohle – auf einem Scheiterhaufen verbrennt. Und auch Streichungen, Tilgungen von Zeilen „schweigen“ ja nicht (man erinnere sich an Henryk M. Broders „Der ewige Antisemit“ aus den 80er Jahren mit den dicken, schwarzen Balken gleich auf der ersten Seite). Lücken in Regalen wirken wie Ausrufungszeichen, während originelle Ideen, die es schaffen, die Verbote zu umgehen, der Zensur die lange Nase zeigen.

Zensur agiert konkret. Ihr Ziel erreicht sie nie wirklich, muss ständig nachjustieren, sich der (neuen) gesellschaftspolitischen Lage anpassen, ist im Umbruch begriffen. Das Münchner Gestalterteam „unodue{“ hat sich deshalb für die Ausstellung dazu entschlossen, ein großes Baugerüst den Raum füllen zu lassen. Es stellt sich das Gefühl eines provisorischen Zwischenzustands ein, der nach Vorsicht verlangt, der neugierig macht. Überall sind Bücher ausgestellt, hängen beispielsweise angenagelt, steril verpackt an der Wand. Schnüre baumeln von oben herunter, daran befestigt Karteikarten. Auf deren Vorderseite heißt es: „Zensiert!“. Auf der Rückseite steht Genaueres: um welches Buch, welche Zeit, um welchen „Grund“ für Zensur es sich in diesem „Fall“ handelt.

Tanja Graf, Leiterin des Literaturhauses, die zusammen mit Anna Seethaler die Ausstellung kuratiert hat, war eine Sache besonders wichtig: Es gehe hier auch darum, den Unterschied zwischen Zensur und der sogenannten Cancel Culture herauszuarbeiten, „Begriffsschärfung zu betreiben“, wie sie sagt, „auch, um das rechte Narrativ anzugehen, dass es bei uns Zensur gäbe, aber bei uns gibt es keine Zensur“.

Wie der Titel besagt, ist die Ausstellung nach den Begriffen Moral, Politik und Religion unterteilt. Wächter von Sitten, Ideologien, Religionen, die den demokratischen Gedanken aus dem Auge verloren haben, greifen aus Angst vor Machtverlust zur Zensur. Zu jedem der drei Begriffe liefert die Ausstellung jeweils zwei Beispiele, die ausführlicher beleuchtet werden. Natürlich tauchen die „Satanische Verse“ auf, dessen Autor Salman Rushdie, letztjähriger Träger des „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“, in der Frankfurter Paulskirche eine fulminante Rede auf die freie Meinungsäußerung gehalten hatte. Klaus Manns „Mephisto“ und Maxim Billers „Esra“ bekommen einen Fokus. In beiden Fällen war es um Persönlichkeitsrecht vs. Freiheit der Kunst gegangen. In beiden Fällen hat die Kunstfreiheit den Kürzeren gezogen. Auch Maia Kobabes Comic-Roman „Gender Queer“ bekommt einen Spot. In ihm geht es um nicht-binäre Geschlechtsidentität. In den USA darf er in vielen Bibliotheken öffentlicher Schulen nicht ausgeliehen werden. Ins Deutsche ist das Buch bisher noch nicht übertragen worden.

Auch ein wenig Lokalgeschichte gibt es: Thomas Mann trat 1911 dem Münchner „Theaterzensur-Beirat“ bei. 1913 trat er wieder aus, und zwar aus „kollegialen Rücksichten“. Der Kollege hieß Frank Wedekind und es ging um dessen Drama „Lulu“, und eigentlich ging es wohl um eine kollegiale Verbundenheit, die zu retten war.

In der DDR verbarg sich die Zensur hinter dem euphemistischen Wort-ungetüm „Literaturentwicklungsprozess“. Die – von Bernhard Maaz, dem heutigen Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemälde-sammlungen – mit der Hand auf Kohlepapier abgeschriebene Reiner-Kunze-Gedichte, die in der DDR verboten waren, zeugen von dem großen Wunsch und Willen, Literatur, die einem wichtig ist, präsent zu halten. Die Schriftstellerin Angelika Klüssendorf, ebenfalls in der DDR aufgewachsen, steuert für die Ausstellung eine sogenannte, sehr authentisch-schaurig-schöne „Untergrundmappe“ aus dem Jahr 1985 bei mit der Aufschrift „anschlag“. Darin befinden sich die Unterlagen unterschiedlicher Künstler*innen-Projekte. Dass heutzutage irgendwo auf der Welt auch „Harry Potter“ oder „Gregs Tagebuch“ aus Schulen und Universitäten verbannt werden, wirkt daneben fast anekdotenhaft. Aber auch nur fast.

Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, 80333 München
Ausstellung Verbotene Bücher | Bis 4.2.2024
Öffnungszeiten: Mo. – So.: 11-18 Uhr
Infos unter: www.literaturhaus-muenchen.de