Von Marie Türcke

Wenn man außerhalb Münchens fragt, was München ausmacht, ist die überwiegende Antwort auf die eine oder andere Art Geld. Schickeria, teure Wohnungen … Fragt man aber Moritz Hürtgen, wieso er nach seiner Tätigkeit als Chefredakteur der Titanic wieder nach München gekommen ist und was München literarisch für ihn bedeutet, bekommt man ein bisschen mehr.

Er mag zwar auch ein paar Sachen an München nicht, zum Beispiel, dass man so viel Miete bezahlen muss und dass viele Leute so wahnsinnig viel Wert auf Äußerlichkeiten legen. Gleichzeitig ist München für ihn aber eben nicht nur Kommerz und Großstadt, sondern auch klein, dörflich in Aspekten und schon immer mit einer sehr aktiven Kulturszene versehen. In dieser Szene sieht Hürtgen eine Bodenständigkeit, da muss nicht immer alles noch bis nach Berlin strahlen, sondern man macht die Kunst für sich und die direkte Umwelt und fühlt sich dabei vollständig. Und dann ist da aus seiner Sicht der süddeutsche und österreichische Humor, geboren auch irgendwie aus diesen Widersprüchen und angetrieben von Leuten wie Gerhard Polt oder Stefanie Sargnagel. Alles in allem also kein schlechter Ort für einen Satiriker!

Und so spielt auch Hürtgens Debütroman in einem Münchner Vorort, einem erfundenen zwar, aber angelehnt an die Orte, die er aus seiner Kindheit kennt. Aufgewachsen in einem Münchner Vorort, ist Hürtgen bereits als Teenager von dem Satiremagazin Titanic fasziniert. Sein Traum: dort schreiben. Als während seines Germanistikstudiums dieser Wunsch Realität werden kann, zögert er nicht, bricht sein Studium ab und zieht 2013 nach Frankfurt – als Redakteur für die Titanic. 2019 wird er Chefredakteur.

Im Gespräch mit Hürtgen kommt das Thema immer wieder auf seine Titanic-Zeit zurück, aber dabei schwingt nie überkandidelter Stolz mit oder der Verdacht, dass hier ein ehemaliger Chefredakteur nur seine Arbeit aufbauschen will. Nein, da spricht ein aufrichtiger Fan – und das nach so vielen Jahren dort!

Seine Liebe zur Dichtung, genauer zur komischen Lyrik, hat er u. a. von den Gründern der Neuen Frankfurter Schule wie Robert Gernhardt und F. W. Bernstein, dieselben Leute, die auch 1979 die Titanic ins Leben gerufen haben. Ihn reizt die alte, klassische Gedichtform und wie man diese brechen kann. „Angst vor Lyrik“ heißt sein erster Gedichtband, erschienen 2019 beim Kunstmann Verlag München. „Angst vor Terror, Krebs und Spinnen / Angst, das Schrei-ben zu beginnen / Angst vor einem weißen Blatt / Angst des Dorfdepps vor der Stadt,“ heißt es treffend in dem allerersten Gedicht des Bandes. Ein klassischer Paarreim, voller Schalk und tiefer Wahrheit. Warum sollte sich das auch ausschließen?

Auch wenn Hürtgen in seiner Titanic-Zeit mit vielen literarischen Formen in Kontakt kam, ist es nochmal etwas anderes, einen 300-seitigen Roman zu schreiben. Ursprünglich dachte er, ein Roman würde – wenn überhaupt – zu einem späteren Zeitpunkt im Leben kommen, an einem Punkt, an dem man voller Geschichten ist – schließlich muss man ja all diese Seiten füllen. Aber dann hat ihn die Geschichte doch früher gefunden. Und er hat sie geplant, die neun Kapitel, hat sie strukturiert, das Ganze seinem Verlag vorgestellt, und ab da war für ihn klar, das schaffe er jetzt. 2022 kam „Boulevard des Schreckens“ auf den Markt, ebenfalls beim Kunstmann Verlag München. Dafür hat er sich jeden Tag zwischen 23 Uhr und 1 Uhr hingesetzt und in aller Abgeschiedenheit geschrieben. Aber es muss viel Spaß gemacht haben, denn heute wohnt
Moritz Hürtgen wieder in München und hat die Chefredakteursarbeit niedergelegt, um mehr Zeit zum Selberschreiben zu haben. Lucky us!

In unserer Serie „Jung und schreibend“, in der wir junge Münchner Autor*innen vorstellen, porträtierten wir bisher Lisa Jeschke, Leander Steinkopf, Daniel Bayerstorfer, Katharina Adler, Benedikt Feiten, Caitlin van der Maas, Samuel Fischer-Glaser, Vladimir Kholodkov, Annika Domainko, Jan Geiger, Ines Frieda Försterling, Rebecca Faber, Natascha Berglehner, Tristan Marquardt und Martin Kordić.