Endlich zeigt sich Licht in diesem über die Jahre angewachsenen und inzwischen völlig unübersichtlichen Dickicht von 100.000 neuen Titeln pro Jahr. Wie soll man sich da zurechtfinden? Selbst die Bestseller sind zu viele geworden. Und außerdem: da sind ja Titel dabei, die – äh – also es ist halt die Wahrheit: die muss man nicht unbedingt gelesen haben. Nun aber die erfreuliche Entwicklung: ein neuer Autorentyp und eine zeitgemäße Vermarktung weisen uns den Weg durch den Titeldschungel. Die neuen Schriftsteller heben sich angenehm ab von diesen pseudointellektuellen Profischreibern, die – das muss mal konstatiert werden – nichts anderes gelernt haben, als in mehr oder weniger skurriler Art und Weise ihre Weltsicht darzulegen. Manche beschreiben nur ihr langweiliges Schriftstellerdasein. Sonst haben die nix vorzuweisen. 

Auch mit alternden Showmastern und kraftstrotzenden Fußballern haben die Neuen rein gar nichts zu tun. Und erst recht nichts mit den von der TV-Maschinerie geschaffenen hohlen Idolen nach dem (Daniela)Katzenbergereffekt. Nein: die Neuen sind die großartigen Milliardäre und Unternehmer, die wir in D. haben. Vorbildliche Mitbürger, die mit Erfindungsgabe, Geschick, Ausdauer und Entbehrungen einen weltumspannenden Betrieb und die Basis unserer Gesellschaft aufgebaut haben. Das ist jetzt wirklich kein Quatsch. Die gibt es und die brauchen wir. Und ihre Autobiographien auch. Ghostwriter? Na und! Hinterlistige Werbekampagnen überziehen das Land. Auf Plakaten entlang der Straßen und Bahnstrecken werden wir mitgerissen. Dass sich so eine aufwändige Werbung für den Verlag lohnt, zeigt im Übrigen, dass das Buch zu einem wertvollen Wirtschaftsgut geworden ist. He Leute, das können wir doch nur wollen! Besser, das Bruttosozialprodukt wächst durch Bücher als durch Silvesterböller. Auch das Radio trägt nun zu einer Auslese im Literaturbetrieb bei. Von einem bayerischen Nachrichtenkanal erfährt man seit Monaten etwa zwei Mal in der Stunde für vielleicht zwanzig – bezahlte – Sekunden (das ist nun wirklich keine Belästigung des Hörers), dass der Gründer einer Drogeriemarktkette endlich sein Leben für uns aufgeschrieben hat und dass – nun kommt das Wichtige – dieses Buch nicht nur in jeder Buchhandlung, sondern (man jauchzt vor Freude) auch in jeder dieser Drogerien erhältlich sei. Stolz stellen wir das Buch zu Hause neben die Werke von Werner („dm“), Thelen und Maschmeyer.

Dem Marketingexperten kommen da Ideen. So könnte jeder Geschirrspülmaschine neben der unverständlichen Gebrauchsanweisung gleich ein Exemplar der Biographie des Hersteller-Chefs beiliegen. Der Obermanager eines nationalen Bahnkonzerns könnte seine Memoiren am Fahrkartenautomaten anbieten. Titel: „Warum ich in meinem Leben immer pünktlich war“. Und ein führender Autofabrikant hätte mit dem Titel „Nichts als die Wahrheit“ im Handschuhfach sicher ein goldenes Comeback.

Philipp Stoll