Benedict Wells’ Coming-of-Age-Roman „Hard Land“
Von Slávka Rude-Porubská
Altwerden ist nichts für Feiglinge – und Erwachsenwerden erst recht nicht. Daher hat es der 15-jährige Sam Turner aus Grady im US-Bundesstaat Missouri denkbar schwer: Der Ich-Erzähler im neuen Roman des aus München stammenden Autors Benedict Wells hält sich selbst für einen „unreifen Schisser“, einen Feigling und Loser. Wells gewinnt der fast stereotypen Figur des nerdigen Außenseiters, der in der Schulcafeteria stets allein am Tisch sitzt, überzeugende Konturen ab und schenkt ihm einen unvergesslichen Sommer, über den Sam im Rückblick resümiert: „Ich fühlte mich so, wie ich mich schon mein ganzes Leben fühlen wollte: übermütig und wach und mittendrin und unsterblich.“
Die Realität der Reagan-Jahre im Mittleren Westen lässt Wells nur in Nebensätzen in den Text einfließen – sei es Gradys wirtschaftlichen Niedergang nach der Schließung der örtlichen Textilfabrik, den Erzkonservativismus seiner fünf Kirchengemeinden, die latente Homophobie oder den Rassismus. Der Autor zoomt näher heran; aus den jugend- und popkulturellen Referenzen der Zeit, den kultigen Songtiteln, Musikbandnamen sowie Film- und Buchzitaten entwirft er die äußeren Verständigungscodes zwischen Sam und seiner kleinen Freundesclique. Natürlich geht es in der in fünf Akten komponierten Geschichte auf der Plot-Ebene vor allem um Partynächte und Trinkspiele und – immer wieder – um Mutproben. Mit ihnen wollen Cameron, Brandon und Kirstie ihren Kumpel Sam von der Ahnung ablenken, die ihn auch in den albernsten Momenten nicht loslässt, nämlich dass „etwas Schlimmes passieren“ wird. „Euphancholie“ wird im Roman das Gefühl genannt, in dem Trauer und Glück, Wehmut und Beschwingtheit ineinanderfallen. Diese fein austarierte Bipolarität, etwa die Spannung zwischen dem Wunsch nach Zugehörigkeit und der notwendigen Abgrenzung vom Gruppenzwang,
ist das Grundmuster des Innenlebens von Wells’ pubertierendem Figuren-ensamble.
Auch Sam ist gefangen in solchen Schwankungen: Er, der sich „wirklich vor jedem Mist fürchtete“ und dem die Schulpsychologin eine „Komfortzone so klein wie ein Penny“ attestierte, stellt sich dann doch den eigenen Komplexen, indem er von steilen Klippen in den See springt, den stadtbekannten Schulschläger niederringt oder in einem selbstkomponierten und auf Kassette aufgenommenen Lied der blonden Kirstie seine Liebe gesteht.
Wells reiht diese Anläufe, Proben und Selbstüberwindungsschritte seines anfänglich extrem schüchternen Helden aneinander und variiert sie zugleich, um Sam aus seiner Ohnmacht herauszuführen, mit der er auf die Arbeitslosigkeit des Vaters und das Krebsleiden seiner Mutter reagiert. Die „ständige, abgrundtiefe, gottverdammte Angst“ kann Sam schließlich überwinden, als er die Trauerfeier für seine verstorbene Mom mit einem Song von Billy Idol torpediert. Eine mutmachende Lektüre für alle, die in den 1980er Jahren Teenager waren – oder es heute sind!
Benedict Wells:
Hard Land
Roman, gebunden
352 Seiten
Diogenes, Zürich 2021,
24,00 Euro