Vor hundert Jahren ist Franz Kafka gestorben. Das sind hundert Jahre ohne Kafka. 2024 wird er wieder ganz weit nach vorne geholt. Auch in München.

Von Katrin Diehl

Damen fielen in Ohnmacht (so hieß es), als Franz Kafka am 10. November 1916 in der Münchner „Galerie Hans Goltz“, Brienner Straße 18, seine bis dahin noch nicht veröffentlichte Erzählung „In der Strafkolonie“ vorstellte. „Ich hätte meine kleine schmutzige Geschichte nicht lesen sollen“, notierte er später, und auch dass die im Anschluss vorgetragenen Gedichte seines Freundes Max Brod nichts mehr retten konnten. Die Lesung in München war Franz Kafkas einzige außerhalb von dessen Geburts- wie Heimatstadt Prag und sie war „ein grandioser Misserfolg“. München könnte sich seitdem ein bisschen schlecht fühlen, könnte sich üben wollen in nachträglicher Kafka-Zugewandtheit und tut das jetzt auch in ganz großem Stil. Am 3. Juni ist Kafkas 100. Todestag, was das Jahr 2024 zu einem großangelegten Kafka-Jahr macht und das Programm, das sich um den Ausnahmeschriftsteller dreht, schwindelerregend reichhaltig. Denn es schwingen ja einige Kulturräume mit, in denen Kafka „stattfand“: der tschechische, der böhmische, der deutsche, der jüdische, der der Stadt Prag …

Monatelange Vorbereitungs- und Vernetzungsarbeit sind da geleistet worden, die für München vor allem von Zuzana Jürgens, Geschäftsführerin des Adalbert Stifter Vereins, ausgegangen sind und noch ausgehen. Eng eingebunden sind die Münchner Volkshochschulen (MVHS), die Stadtbibliotheken, das Literaturhaus, das Jüdische Museum München, die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern, das Goethe Institut, das Münchner Kulturreferat, das Sudetendeutsche Haus, die Theater der Stadt … Sichtbar wird dieses Veranstaltungsfeuerwerk zu Ehren Kafkas auf einer eigens dafür kreierten schön anzusehenden Website (www.kafka2024.de). Sie gibt einen ständig aktualisierten Überblick übers europaweite Kafka-Geschehen.

Aus der bereits beendeten Kafka-Ausstellung in der Villa Stuck wanderte die Installation des Künstlers Sebastian Jung „Kafkas Schwestern“ ins Foyer des Jüdischen Museums München. Auf Aquarellzeichnungen in warmbunten Farben sind Ottla, Elli und Valli als kleine Mädchen zu sehen. Ottla, Elli und Valli sind 1942, 1943 in Vernichtungslagern ermordet worden.

Das Prager Kabarett „Das Thema/To téma“ wird am 9. April im Gasteig HP 8 seine Performance „Kafka has left the building / Amtliche Bezeichnung: Kafka 7/24“ zeigen. Die MVHS am Harras bietet am 13./14. April eine Schreibwerkstatt an für „kurze Prosa“ und „auf den Spuren Franz Kafkas“ (Leitung: Dagmar Leupold). Es wird eine ganze Reihe Vorträge geben, zum Beispiel startet eine Vortragsreihe (am 21.4., dann wöchentlich) zu einzelnen Werken Kafkas (Beginn 18 Uhr, MVHS im Gasteig), Marek Nekula, Professor an der Uni Regensburg, beschäftigt sich unter dem Titel „Kafka tschechische Literatur revisited“ um Kafkas Rezeption tschechischer Literatur (15.5., 18 c.t. Uhr, Raum A119, LMU). Besonders hinzuweisen ist natürlich auf einen Vortrag des großartigen Kafka-Biografen Reiner Stach mit dem Titel „Was habe ich mit den Juden gemeinsam?“, in dem es um Kafkas Identitäten geht (26. Juni, MVHS im HP 8). Reiner Stach wird im Übrigen auch am 4. Juni im Literaturhaus sein (20 Uhr) und über „Franz Kafka und das Jahr 1913“ sprechen (die Kafka-Texte liest René Dumont).

Im Residenztheater steht „Das Schloss“ auf dem Spielplan (Regie: Karin Henkel), im Tams Theater ein Stück namens „KAFKAMASCHINE“ (von Lorenz Seib), ab Oktober werden die Kammerspiele mit „Amerika/Der Verschollene“ nachziehen (Regie: Charlotte Sprenger). Außerdem wandert das „Habibi Kiosk“ für einige Zeit nach Prag aus (im Zuge des Prager Theaterfestivals deutscher Sprache).

Ab dem 16. Mai gibt es im HP 8 eine „partizipative Ausstellung“ mit Titel „Kafka in Zitaten“, das Ergebnis einer „Mitmachaktion“: Menschen hatten Anfang des Jahres und über einen Monat hinweg über München verstreut in Stadtbibliotheken wie Volkshochschulen auf bereitgestellten Stellwänden die Möglichkeit, wichtige Zitate Kafkas mit Klebepunkten zu „bewerten“. Das Ergebnis wird verfeinert, in Kunst gebracht (von einem Prager Grafiker) und in besagter Ausstellung zu sehen sein.

Das Literaturhaus animiert zum gemeinsamen Lesen (Reihe: „Kafka lesen“) wie zum vorbereiteten Diskutieren mit Schreibenden (s. Programm des Literaturhaus).

Völlig erschöpft lässt sich dann am 14. Juni mit Kafkas „Der Process“ einschlafen, oder auch besser nicht: In einer Lesenacht im HP 8, Halle E, können Vorlesefreudige sich am Vortragen des gesamten Texts beteiligen, bis sich Kafka in ihre Träume verzieht. Und dann geht es weiter.

Alle im Text erwähnten Veranstaltungen und Orte sind zu finden auf www.kafka2024.de unter dem Menü „Orte“ und dort weiter auf „München“.