Internatsszene aus Niederbayern
Von Hans-Karl Fischer
Ich stand mit Robert und Benno am Mittag neben dem Schipferl, in gewohnter Altersweisheit sprachen wir über das Wesen des Geldes.
Da ich notorisch gegen alles war, was den anderen als bedeutend galt, behauptete ich, wenn man sich in zu großem Umfang mit Geld abgebe, mache das den Menschen böse.
„Für Geld kann man alles tun“, sagte ich. „Den eigenen Staat, die Familie, die Freunde verraten, alles wird ja auch in einer Tour für Geld getan.“
Benno, bei dem es manchmal hoch hergehen musste, sagte:
„Ich weiß etwas, was niemand für Geld tut.“
„Was?“
Er spuckte auf den Boden.
„Schleck’s auf.“
„Warum?“
„Du hast gerade gesagt, für Geld kann man alles tun.“
„Ja, gut –“
„Dann tu es. Du bekommst zehn Mark.“Es war ein ausgewachsener Lungenharing mit einem leicht ins Grünliche gehenden Gelbstich. Ein Stück, vor dem einem schon beim Hinschauen ekelt.
Dennoch wollte ich ein Exempel statuieren und zögerte keinen Augenblick.
Ich legte mich auf den Boden, als ob ich eine Liegestütze machen wollte und näherte meinen Mund dem Pflasterstein.
In dem Augenblick, in dem ich den Bazillenschatz aufsog, dachte ich an meine Verwandten: an meine Tante, die Kleinindustrielle war, an meinen Onkel, der ein größeres Geschäft innehatte, und an seine Mutter, die ihm immer viel zu wenig Taschengeld gab.
Doch diese Gedanken beschäftigten mich nur so lange, als der Lungenharing meinen Gaumen noch nicht erreicht hatte.
Ich versuchte, ihn sogleich zu schlucken; es ging nicht; ich wand mich; ich ging in die Hocke; ich sprang in die Höhe; ich würgte und räusperte mich in einer Tour.
Dann konnte ich ihn endlich schlucken.
Doch blieb das Gefühl des fremden Lungenharings sowohl im Mund als auch in der Speiseröhre.
Eigengeschmack des anderen Körpers. Wie sich der andere Körper in sich selbst anfühlt.
Man merkt es nicht, wie der eigene Körper schmeckt.
Das Würgen hörte erst nach einer knappen Viertelstunde auf. Und auch das nur, weil Robert dauernd auf meinen Rücken klopfte.
Benno nahm einen zerknitterten Zehnmarkschein aus der Hosentasche und reichte ihn mir unter der Gürtellinie.
„Den hast du verdient“, sagte er.
Was hieß hier verdient?
Wenngleich mit meinen Verkrampfungen, hatte ich ein paar Leute gut unterhalten.
Auszug aus dem Romanprojekt mit dem Arbeitstitel „Gewalt-Szenen aus Niederbayern“, aus dem der Autor im Münchner Literaturbüro vor-gelesen hat.