Von Harry Potter bis zum Konsolenspiel: In München versorgen fünf Bücherbusse Tausende Schulkinder mit Medien

Von Ina Kuegler

Es ist 8.30 Uhr. 15 Mädchen und Buben drängeln sich vor der Eingangstür, der Busfahrer ruft: „So, dann kommt mal alle rein.“ Der Bücherbus ist wieder da, eine 12 Meter lange und zweieinhalb Meter breite Bibliothek auf Rädern. Die Kinder schieben sich in den Bus. Sie stöbern in den Regalen, geben Bücher zurück, leihen Medien aus oder verlängern die Leihfristen. Nach einer viertel Stunde folgt die nächste Gruppe. Es sind Kinder zwischen fünf und elf Jahren, vor allem aber Grundschüler, die den Bücherbus stürmen. Die Stadt München hat fünf davon – sie kommen alle 14 Tage und machen auf den Schulhöfen Halt. Tausende Bücher, DVDs, CDs, Zeitschriften oder Konsolenspiele fahren die mobilen Bibliotheken von Grundschule zu Grundschule – ein kindgerechter, niederschwelliger Zugang zu Wissen und Bildung. Abteilungsleiter Siegfried Kalus von der Münchner Stadtbibliothek beschreibt das so: „Die Fahrbibliotheken leisten einen wichtigen Beitrag zu Chancengleichheit und sozialer Integration“.

„Ich lese mindestens fünf Bücher in der Woche“, sagt Louis und schiebt seinen digitalen Bibliotheksausweis über die Theke. Bibliothekarin Lena Haußelt nimmt die knallrote Karte entgegen und ruft über die Köpfe der Kinder hinweg: „Paul, wenn Du was für Dein Referat über Graffitis suchst, dann schau doch mal beim Regal Kunst, Musik und Bühne.“ Kinder werden schnell fündig im Bücherbus – es gibt u. a. Longseller wie die Kinderkrimis mit den „Drei Fragezeichen“, die „Olchies“, die „Schule der magischen Tiere“, den Klassiker „Harry Potter“, Quizbücher, Comics oder das Kosmos-Buch der Technik. Relativ neu im Sortiment sind Tonies, Hörfiguren, für die ein spezielles Abspielgerät notwendig ist.

Das Gedränge im Bus zwischen den Bücherregalen ist groß – dabei wirken die Kinder gelassen und routiniert. „Am Ende der ersten Grundschulklasse gehen die Biblio-thekarinnen und Bibliothekare in die Klassenzimmer, stellen den Kindern und dem Lehrpersonal das Angebot des Büchereibusses vor und teilen Anmeldeformulare aus“, erklärt Siegfried Kalus und ergänzt: „Die Anmeldequote in dieser Jahrgangsstufe beträgt 98 Prozent.“ Bildung ohne Bildungsschranken: Die Bücherbusse werden auch genutzt von Kindern mit Migrationshintergrund oder aus bildungsferneren Schichten, diese Schüler*innen haben oft Eltern, die noch nie eine Bibliothek betreten haben.

Ausweis und Ausleihe an den 80 Grundschulen und drei Kindergärten sind gratis. Die Stadt München lässt sich die Bücherbusse einiges kosten. Wie hoch der Etat ist, will Siegried Kalus aber nicht verraten, allerdings verfügten die Fahrbibliotheken „über einen sehr guten Medienetat“, der in etwa pro Bus dem Etat einer kleinen Stadtbibliothek entspreche. Knapp 750.000 Medien werden in den fünf Bücherbussen jährlich ausgeliehen – diese Zahl ist in den vergangenen Jahren relativ konstant geblieben. Ähnlich verhalte es sich laut Kalus bei der Lesekompetenz der Grundschüler*innen: „Die Kinder im Alter von sieben bis elf Jahren lesen heute genauso gern wie vor fünf oder zehn Jahren.“

Lesekompetenz und Leselust in rollenden Büchereien sind offenbar ungebrochen. Ihre Anfänge hatte die mobile Bibliothek in München bereits im Jahr 1928. Damals fährt sie noch auf Gleisen – es ist die Büchertram. Die „Städtische Wanderbücherei“, eine Idee des damaligen Stadtbibliotheksdirektors Hans Ludwig Held, transportiert ihre 3.000 Bücher zu acht Haltestellen im Stadtgebiet. Getreu Helds Motto, „Das Buch muss zu den Leuten, nicht umgekehrt“, fährt die mobile Bibliothek entferntere Quartiere an. Die Büchertram gibt es bis 1970 – dann hat sie ausgedient. Unterdessen fährt im Jahr 1951 bereits der erste Bücherbus, 1956 rollen schon drei davon durch die Stadt, im Jahr 2021 sind es fünf. Bevorzugtes Ziel: Stadtviertel, in denen es keine Stadtbibliothek gibt.

P.S. Bücherbusse sind übrigens nicht nur bei Münchner Schulkindern beliebt, sondern auch bei den Royals. Das erzählt zumindest der britische Bestseller-Autor Alan Bennett in „Die souveräne Leserin“. Königin Elisabeth II. verirrt sich in dieser Novelle beim morgendlichen Gassi-Gehen und gerät in einen Bücherbus. Die Queen wird Dauerkunde in der fahrbaren Bibliothek, vernachlässigt ihre königlichen Pflichten und wandelt sich zu einer Liebhaberin schöngeistiger Literatur. Three cheers for the Bücherbus.