München übersetzt Sophokles’ „Anti·gone“ neu

Von Sevda Cakir

Am 28. Mai ist „Internationaler Tag der Leichten Sprache“. Er erinnert seit 2020 daran, dass viele Menschen schwere Sprache nicht verstehen. Weltweit zum ersten Mal wurde in München an einem deutschen Stadttheater ein Stück in Leichter Sprache inszeniert. Die Übersetzung von Anne Leichtfuß und ihrer Prüfgruppe soll dieses Jahr noch verlegt werden: Antigone in Leichter Sprache.

In Deutschland gibt es 14 Millionen Betroffene, die auf Leichte Sprache angewiesen sind: Personen mit anderen Lernmöglichkeiten oder funktionale Analphabeten. Menschen mit demenziellen Erkrankungen, mit Aphasie (erworbene Sprachstörung) oder prälingualer Gehörlosigkeit. Dazu kommen noch jene, die sich bei bestimmten Themen nicht gut auskennen, die wollen, dass andere sie gut verstehen, die geflüchtet sind oder die wenig Deutsch sprechen und verstehen.

Das Sprachniveau der Leichten Sprache mit eigenem Regelwerk und Zielgruppenprüfung, ist der Stufe A2 zugeordnet. Zum Vergleich: Das Sprachniveau der Einfachen Sprache liegt bei B2 und spricht eine andere Zielgruppe an: Menschen, die nicht gut lesen können und deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Hier gibt es kein eigenes Regelwerk und keine Zielgruppenprüfung.

Anne Leichtfuß, die erste Simultandolmetscherin für Leichte Sprache, hat zusammen mit ihrer Prüfgruppe den von vor mehr als 2.000 Jahren entstandenen Text von Sophokles lebendig werden lassen – nicht nur auf der Bühne. Die Sprache wurde dadurch zugänglicher. Ensemble-Schauspieler Frangiskos Kakoulakis findet, dass der sonst so schwere Text damit eine Art Leichtigkeit bekomme. Kritiker*innen, die Sprachverluste fürchten, können aufatmen: Es ist die korrekte Form des Deutschen, mit festen Regeln, nur eben für jede*n zu verstehen, weil es so leicht verständlich ist. Und so funktioniert Leichte Sprache: Die Sätze sind kurz.
In jedem Satz steckt nur eine Information. Komplizierte Wörter werden erklärt. Abkürzungen auch. Sehr lange Wörter werden mit dem Mediopunkt getrennt. [siehe Regelwerk: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) „Leichte Sprache – Ein Ratgeber“]

Die Münchner Kammerspiele sind das erste deutsche Stadttheater, das Schauspieler*innen mit kognitiven Beeinträchtigungen im Ensemble hat. Als Theaterhaus möchten sich die Kammerspiele künstlerisch und strukturell weiterentwickeln. „,Anti·gone‘ war eine weitere Etappe der Reise mit unbekanntem Ausgang“, so die künstlerische Leiterin Nele Jahnke. Während dieser Etappe haben alle, die sich darauf eingelassen hatten, verstanden, was Leichte Sprache bedeutet und für wie viele Betroffene das relevant sei. Die Prüfgruppe, in der sich die Zielgruppe befindet, liest den Text und gibt Feedback, ob alles verstanden wird oder ob etwas genauer erklärt werden muss. Für Interessierte, die einen solchen Übersetzungs-Ablauf kennenlernen wollten, hatten die Kammerspiele im Rahmen des „All Abled Art Festivals“ im Januar 2024 zu Workshops eingeladen. Hier gab es zudem die Möglichkeit, die Regeln der Leichten Sprache auch im Gespräch anzuwenden.

Anne Leichtfuß erzählt, dass der Anti·gone-Text während der Proben zusätzlich angepasst wurde: Die Schauspieler*innen konnten über ihre Dialoge mitentscheiden. Danach wurden die Änderungen noch mal von Prüfer*innen auf Verständlichkeit geprüft. Diese Partizipation am Leben sei es, was sich Menschen wünschten, die die Leichte Sprache im Alltag fordern. Nicht nur Hilfe in der Bürokratie sei notwendig, sondern auch Teilhabe am kulturellen Leben. Das steigere die Lebensqualität, so Anne Leichtfuß. Zur Erinnerung: Deutschland hat im Jahr 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet. Darin wird gefordert, dass die Teilhabe in allen Lebensbereichen ermöglicht werden soll.

Es gibt mehrere Verlage, die sich dafür stark machen und Literatur in Leichter Sprache herausgeben. Wöchentliche Nachrichten, die wie ein Rückblick gestaltet sind und die Topmeldungen auflisten, gibt es inzwischen – wenn auch nur auf einem Medienkanal. Viele Blogger*innen und Organisationen schreiben im Internet zusätzlich in gewünschter Weise. Doch die Zielgruppe fordert mehr: „Tagesschau“ in Leichter Sprache beispielsweise oder ein größeres Angebot an kulturellen Aktivitäten. Es ist ein langer Weg, bis die Angebote, die viele Menschen wie selbstverständlich nutzen, für alle verfügbar gemacht werden (können). Vorreiter, wie die Münchner Kammerspiele, können ein Bewusstsein dafür schaffen.

Anne Leichtfuß hat bei der Zielgruppe der Leichten Sprache nachgefragt und schreibt wunschgemäß tagesaktuelle Blogposts über Stars. Sie berichtet auch über wichtige aktuelle Geschehnisse, die die Welt betreffen (einfachstars.info). Das macht die Simultandolmetscherin zusätzlich und freiwillig zu ihren Aufträgen, bei denen „Anti·gone“ entstanden ist. Für alle, die diese Zeichen setzende Inszenierung verpasst haben: zum Buchrelease von „Anti·gone“ wird in den Münchner Kammerspielen das Theaterstück in Leichter Sprache wieder aufgeführt.

Mehr zum Theaterstück unter: www.muenchner-kammerspiele.de/de/programm/13708-anti-gone