Slata Roschal gibt in „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ einer Mutter eine Stimme und keiner sollte weghören.

Von Katrin Diehl

Dieses Buch macht fertig. Die Depression, die permanent um sich selbst kreisenden, sich selbst analysierenden Gedanken … Und jetzt? Denn „Wein trinken und auf das Ende warten“ kann ja auch nicht die Lösung sein. Oder doch? Geht es nur noch darum, einen Zustand ausfindig zu machen, der sich in seiner Schwebe und für eine gewisse Dauer ganz okay anfühlt, der weiterleben lässt? Im Moment ist jedenfalls das „schwarze schwere Tier“ am Zug. Es „kommt jeden Abend gekrochen, legt sich auf die Brust …“. Eine berufstätige Mutter zu sein, so harmlos und abgehandelt das klingt, kann zu einem Drama werden. Und wenn es das nicht wird, dann war wohl einiges an Glück mit im Spiel.

Gegen die erdrückende Schwere des Stoffes, den da das/ein Leben lieferte, kommt nichts an, nichts außer dessen Abbildung, seine Bespiegelung als ein kreativer Akt. Eine Wissende übersetzt hier einen Zustand in Worte, Sätze, denen oft dieses oder jenes Glied fehlt, die in ihrer Lückenhaftigkeit so assoziativ wie genau sind, in ihrer Ellipsenhaftigkeit poetisch. Eine Wissende leiht einer Verzweifelten bekennende Aussagen.

Mit „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ legt die Münchner Romanautorin, Lyrikerin und Slawistin Slata Roschal, 1982 in Sankt Petersburg geboren, ihren zweiten Roman vor. Für den ersten, „153 Formen des Nichtseins“, war sie 2022 für den Deutschen Buchpreis nominiert worden.

Maria Novak, so heißt die Roman-Protagonistin, die sich in Grund und Boden reflektierende, monologisierende Ich-Person, ist als Kind aus Polen nach Deutschland gekommen. Jetzt arbeitet sie als Übersetzerin, hat einen deutschen Mann, Gernot, geheiratet. Das Paar hat zwei kleine Kinder. Seit den Geburten trägt Maria wegen des Kaiserschnitts eine große Narbe quer über ihrem Körper. Geldsorgen hat die Familie (dank des Mannes) keine. Man lebt in einem Landhaus bei Rostock. Ein Zimmer für Maria allein gibt es da nicht. Dafür ein Badezimmer, in dem sie sich manchmal versteckt. Ort des sich über zwei Tage erstreckenden Monologs ist ein Hotelzimmer in Berlin, ein „Zimmer im Untergrund“. Maria ist da wegen eines Übersetzer*innen-Workshops untergebracht.

Bruchstücke lassen ein Bild entstehen, einen Roman, einen fesselnden Text, der keiner linearen Handlung bedarf, der unterbrochen wird von einem in die Vergangenheit versetzenden, imaginierten Briefwechsel mit einem in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die USA ausgewanderten Bayern. Irgendwie wirkt Maria tatsächlich so, als habe sie auf dem Schrank – sehr aus der Zeit gefallen – einen braunen Lederkoffer bereitliegen, um nach Amerika zu gehen. Ihre Gedanken fliegen immer mehr auseinander (der Wein tut das Seine dazu). Endlich hat sie ein Zimmer, ist sie alleine, hat Zeit für sich …, trotzdem geht nichts: „Vielleicht schob ich diesen Moment vor mir her, weil ich vorausahnte, dass ich (…) im eigenen Zimmer, (…) dass ich dann feststelle, dass ich zu gar nichts fähig bin …“ Das ist das Drama, das ist die Katastrophe, denn es gibt scheinbar keine „Schuldigen“.

Das Hotelzimmer füllt sich mehr und mehr mit sauerstofffressenden Ängsten. Wo lässt sich da noch hineingrätschen? Vielleicht mit einem Satz wie diesem?: „Es muss ein Land geben, wo man mich schätzt für meine deprimierte Art und meine Gestik und alles auf so natürliche, ehrliche Weise, dass ich daran zu glauben und fremde Leute auf der Straße anzulächeln beginne.“

Alles ist zu viel: die eigenen Ansprüche, die Ansprüche der anderen („Die Diskrepanz zwischen Sein und Soll macht mich fertig.“). Slata Roschals Roman hat eine zwingende, zu Leibe rückende literarische Kraft. Eine Antwort, eine Lösung liefert er nicht, was der Realität am nächsten kommt.

Slata Roschals Poetikvorlesungen sind am 15., 23. und 29. Mai, jeweils 18:00 bis 20:00 Uhr im Philologicum der LMU, Ludwigstr. 25

Slata Roschal:
Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten, Roman, 170 S.
Claassen Verlag, Berlin 2024
22 Euro