Erika Mann und ihre „Pfeffermühle“ /  Der digitalisierte Nachlass in der Monacensia

Von Ina Kuegler

1.034 Mal stand sie auf der Bühne, dann war Schluss. Die letzte Station sollte 1937 New York sein, die erste war 1933 in München. Am 1. Januar hob Erika Mann (1905-1969) zusammen mit ihrem Bruder Klaus das politisch-literarische Kabarett „Die Pfeffermühle“ aus der Taufe und prägte es jahrelang. Die älteste Tochter des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann glänzte als Conférencière, als Schauspielerin, Sängerin, Texterin. Heute liegen Dokumente zur „Mühle“ in der Monacensia: 114 sind es – nur ein Bruchteil von insgesamt 6.167 Schriftstücken, dem kompletten, mittlerweile digitalisierten Erika-Mann-Nachlass.

In diesem online-Bestand dominieren die Briefe: Es sind 5.654 Titel, gefolgt von 443 Manuskripten und Typoskripten sowie 70 biographischen Dokumenten. Zu diesem Schatz kam die Monacensia im Jahr 1976, nachdem Golo Mann 1972 zunächst den Nachlass von Klaus Mann und vier Jahre später den seiner Schwester dem Münchner Literaturarchiv durch eine Schenkung vermachte. Das Interesse an diesen kostenlos nutzbaren, digitalisierten Nachlässen der Familie Mann ist groß. Über 1,5 Millionen Zugriffe auf monacensia-digital waren es schon in diesem Jahr. Die „Pfeffermühle“ wird von den online-Nutzern des Erika-Mann-Nachlasses besonders oft angeklickt, wie die Monacensia auf Anfrage versichert. Die „Mühle“ in München und ihre Exil-Jahre in ganz Europa sind erforscht: Ein Standardwerk ist das Buch von Helga Keiser-Hayne „Erika Mann und ihr politisches Kabarett, die ‚Pfeffermühle‘“, erschienen 1990 in der Edition Spangenberg, die sich in Sachen Klaus Mann große Meriten erworben hat.

Literatur zur „Pfeffermühle“ gibt es also – was fehlt, ist ein Film. Und da bietet die Monacensia aufschlussreiche Einsichten. So wurde 1966 ein TV-Film für den Bayerischen Rundfunk geplant, der aber nicht zustande kam. Im Nachlass kann man den Entwurf zu diesem Dokumentarstreifen einsehen: Es ist ein 44 Seiten umfassendes Typoskript mit handschriftlichen Ergänzungen bzw. Korrekturen von Erika Mann. Als Eingangsszenario war offenbar ein Stück München im Winter 1928 vorgesehen – ein „Schnauferl“ sollte von der Frauenkirche zum Viktualienmarkt fahren. Als akustische Einspielung dachte man an den „Pfeffermühlen“-Marsch (er ist auf YouTube zu hören!). Gleichzeitig sollten „Männer in braunen und schwarzen Uniformen“ auftreten. Es folgte „ein harter Schnitt“ und mit ihm einige der gängigsten Lieder aus der „Pfeffermühle“.

An die Film-Darsteller wurde in dem Typoskript auch gedacht: So sollte Therese Giehse (sie war Gründungsmitglied der „Pfeffermühle“ und zeitweise auch deren Regisseurin) etliche Lieder singen. Auch Karl Paryla stand auf der Wunschliste und Cornelia Froboess – sie wurde in der Adenauer-Bundesrepublik 1962 durch ihren ESC-Song „Zwei kleine Italiener“ bekannt. Conny Froboess sollte die junge Erika Mann verkörpern bzw. deren Lieder singen. Ob das gut ging? Es ging nicht gut.

Am 28. Mai 1966 besuchte der Münchner Regisseur, Dramaturg und Fernsehproduzent Günther Sauer die in Kirchberg (bei Zürich) lebende Erika Mann – das Filmprojekt „Pfeffermühle“ schien auf einem guten Weg. Doch bereits einen Tag später schrieb Erika Mann an Sauer: „Erst im Gespräch mit Ihnen wurde mir sonnenklar: es gibt keine Verständigung zwischen den deutschen Fernguckern und Leuten wie mir, keine jedenfalls zwischen der ‚Pfeffermühle‘ und den Beschauern da drinnen.“ In den nächsten Monaten wurde sie immer deutlicher: „Hauptgrund meines Neins: Der penetrante Neonazismus, der in Wahrheit ganz der alte ist.“ Die Bestätigung folgte auf dem Fuß: Im Herbst 1966 wurde das ehemalige NSDAP-Mitglied Kurt-Georg Kiesinger deutscher Bundeskanzler, die NPD errang 15 Sitze im Bayerischen Landtag.

Ein Resumée und eine Bilanz der „Pfeffermühle“ zog Erika Mann in ihrem „Outline“, ebenfalls im Bestand des Monacensia-Nachlasses. Darin schreibt sie, dass das Kabarett-Ensemble das Bewusstsein für die Gefahren des Nazismus geschärft habe, und zitiert jene Emigranten, denen gerade noch die Flucht aus Nazi-Deutschland und dem faschistisch beherrschten Europa geglückt war: „Keine Zeitung, kein Radio, nicht einmal die Stimme des ‚Führers‘ hätten uns zu zeitiger Abreise genötigt. Die Schreckensbilder die IHR uns gezeigt habt, haben dazu geführt, dass wir weg sind aus unserem Land. Die ‚Pfeffermühle‘ hat ein paar Menschenleben gerettet. Das ist viel wert.“

In unserer Serie „Dichternachlässe – ein kulturelles Erbe“ stellten wir bisher den Vorlass von Herbert Achternbusch vor sowie die Nachlässe von Lion Feuchtwanger und Carl Amery.