„… ich habe Lust zu schreiben …“

Anne Franks Tagebuch gilt als das Dokument gegen die Unmenschlichkeit des Völkermordes während des Nationalsozialismus und ist aus unserem kollektiven Bewusstsein nicht mehr heraus zu dividieren. Das Mädchen führte ihr Tagebuch ab ihrem 13. Geburtstag im Juni 1942 bis zur Verhaftung Anfang August 1944 durch die SS. Die Aufzeichnungen wurden gerettet, 1950 veröffentlicht und zu einem Welterfolg. Viele Jahre als Zeitdokument eingeschätzt, verkannte man ihren literarischen Anspruch, zumal mehrere Versionen vermischt worden waren. Nun ist es der Germanistin Lauren Nussbaum gelungen, dass Anne Frank, die sie in ihrer Jugend gekannt hat, als das gesehen wird, was sie sein wollte – als Schriftstellerin. Sie habe das Wissen, wie man schreibt, begründet Nussbaum ihre Forderung, und das Jahr 1943 noch selbst komplett überarbeitet und durchkomponiert. Dieser Teil ist nun als eigenständiges Werk im Secession Verlag erschienen und beweist einmal mehr, zu welcher Tiefe in ihrer Ausdrucksweise sehr junge Menschen fähig sind. Dass die zwei Jahre zuvor publizierte Graphic Novel „Das Tagebuch der Anne Frank“ von Ari Folman und David Polonsky jüngst mit dem zum ersten Mal verliehenen Preis des NS-Dokumentationszentrums München ausgezeichnet wurde ist vielleicht kein Zufall. Gerade in Zeiten, in denen der Ungeist der Vergangenheit wieder heraufbeschworen wird, ist es wichtig, auch jenen Leserinnen und Lesern mit wenig historischem Vorwissen oder Lesekompetenz das Unfassbare und Unbeschreibliche begreifbar zu machen. Und das gelingt den Autoren mit der Umsetzung der Geschichte des Holocaust in eine künstlerische Sprache und starken eindringlichen Bildern.

Katrina Behrend Lesch

Anne Frank, Liebe Kitty – Ihr Romanentwurf in Briefen. Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert. Secession Verlag für Literatur, Berlin 2019. 18 Euro

Das Tagebuch der Anne Frank. Graphic Diary. Umgesetzt von Ari Folman und David Polonsky.
S. Fischer, Frankfurt 2017. 20 Euro.