Eine Graphic Novel über den Fußballer Oskar Rohr
Von Katrin Diehl
Es geht gleich in medias res. Vor allem für die Bayern. Die Bayern. Es ist nämlich „Ossi“ gewesen, der die am 12. Juni 1932 zur ersten Meisterschaft geschossen hat. In Nürnberg hat er gegen Eintracht Frankfurt vor 55.000 Zuschauern einen Elfer reingekriegt. Am Ende stand es dann 2:0. „Ossi“, das war Oskar Rohr, ein Mannheimer, den der Trainer Richard Dombi, der eigentlich Richard Kohn geheißen hat, bei seinem Wechsel vom VfR Mannheim zum FC Bayern kurzerhand mitgenommen hatte. Da traf der junge Mann dann bald mit Kurt Landauer, Präsident des Vereins, auch mit Walther Bensemann, Fußballpionier und Gründer der Fußballzeitung „Kicker“, zusammen. Und darum geht es in dieser ansprechenden Graphic Novel eben auch, zu zeigen, wie jüdisch die Anfänge des Fußballsports in Deutschland gewesen sind. Ossi Rohr, geboren 1912, ein Ausnahmetalent, ein Stürmerass, ein Toreschießer, trippelte sich mit unerwarteten Haken und einigem Tempo durch die deutsche Kata-strophengeschichte. Den grobstrichigen, flotten Panels zu folgen (Text: Julian Voloj, Zeichnungen: Marcin Podolec), heißt einem Leben zu folgen und das hat hier wirklich großen Unterhaltungswert.
Dabei liefert diese Bilderstory so etwas wie einen Beweis für die Individualität jeder Vita trotz mächtigster historischer Vorgänge. Aber natürlich drängen sich Fragen auf, Fragen jenseits des Sports. Und da wird dann immer wieder und eben auch in dieser Graphic Novel betont, dass der Ossi ein ganz „Unpolitischer“ gewesen sei, einer, der eben „nur Fußball spielen wollte“. Während der Nazizeit „unpolitisch“ gewesen zu sein, setzte irgendwann ein bewusstes Wegschauen voraus, ein Gewähren lassen, ein Desinteresse am Unrecht. Und Oskar Rohr scheint ja, folgt man seiner Erfolgsgeschichte, weder ein Simplicissimus noch ein braver Soldat Schwejk gewesen zu sein. Der Klappentext des Buches, das den schrecklich langweiligen wie absolut zutreffenden Titel „Ein Leben für den Fußball“ trägt, arbeitet mit Signalwörtern, die assoziativ in die falsche Richtung lenken. Und dabei sollen die Härten von Oskar Rohrs Erlebnissen auch im Krieg nicht geschmälert werden. Und es stimmt ja auch: Deutschland hatte Oskar Rohr zu Kriegsbeginn zur „Unperson“ erklärt, und er war tatsächlich für mehrere Wochen 1942/43 in ein Konzentrationslager gebracht worden (wobei darauf hinzuweisen ist, dass das „KZ Kislau“ bereits 1939 aufgelöst worden war, es danach als eine Art Lager oder Gefängnis weiter existierte).
Jedenfalls ist es gut und richtig, Oskar Rohrs aufregende Geschichte zu erzählen, ihn auch sehr bewusst zu einem Teil der Geschichte des FC Bayern zu machen. Kurz nach deren Meisterschaftsgewinn hatte Ossi dann wieder den Ort gewechselt, war wieder Dombi gefolgt. Dombi geht in die Schweiz, weil er Jude ist, Ossi, weil er Profifußballer werden will und die Nazis so etwas nicht leiden können (wie insgesamt der aus England importierte Fußballsport von ihnen nicht wirklich protegiert wurde). Ossi geht zum Verein „Grasshopper Zürich“, der mit ihm den „Schweizer Pokal“ gewinnt. Ab 1934 dann spielt Oskar Rohr für „Racing Strasbourg“, wo er als großartiger Torschütze – anfänglich unter dem Trainer Fritz Kerr, der eigentlich Fritz Kohn hieß – gutes Geld verdient, einen flotten Schlitten und mehr zugestanden bekommt und mit 117 Toren zum Star und erfolgreichsten Stürmer der Vereinsgeschichte aufsteigt. „Den Ossi“ kennt man in Straßburg bis heute. Als die Deutschen im Oktober 1939 das Elsass besetzen, wird es für Oskar Rohr brenzlig. Er flieht in den Süden bis zur Hafenstadt Sète. Und was macht er da? Na ja, er spielt Fußball beim FC-Sète, der mit ihm 1942 das Französische Pokalfinale erreicht. Im selben Jahr wird Rohr, kurz vor dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht, verhaftet. Wahrscheinlich von der französischen Polizei. Es folgen Gefängnis, dann Zwangsarbeit im Lager Kislau. Wieder zurückgekehrt nach Mannheim zu den Eltern, erreicht Oskar Rohr der Einberufungsbefehl an die Ostfront, eine eindeutige Ansage… Ein Flugzeug hat ihn dann wieder aus der Kriegshölle zurück nach Hause gebracht. Wer steckte hinter diesem großen, lebensrettenden Glück? Darüber gibt es diese und jene „Geschichten“, die die Graphic Novel weiter „spinnt“, wobei man sich im informativen Anhang des Buches gewünscht hätte, zu erfahren, an welchen Stellen der rasanten Fußballer-Biografie sich der Autor seiner kreativen Freiheit bedient hat und wohinter wirklich Fakten stehen.
Jedenfalls wurde hier eine Lebensgeschichte wieder nach vorne geräumt, der es sich lohnt zu folgen. Von der Fußballgeschichte, auch der Münchner, ganz zu schweigen.
Julian Voloj, Marcin Podolec:
Ein Leben für den Fußball – die
Geschichte von Oskar Rohr
Graphic Novel, Hardcover
Carlsen Verlag, Hamburg 2020
22 Euro