Die bildende Künstlerin Ella Ponizovsky Bergelson bringt Poesie auf die Wände des Pathos-Theaters

Von Katrin Diehl

ort: kreativquartier an der Dachauer Straße. Genauer: vorm Pathos. Es ist kalt, es ist nass, es ist Mitte April. Die bildende Künstlerin Ella Ponizovsky Bergelson mit schwarzer Wollmütze und schwerer Lederjacke ist dabei mit einer schmatzenden Farbrolle am ausgefahrenen Stiel, eine Außenwand des Pathos-Theaters Bahn für Bahn schwarz abzudecken, wodurch auch der „PATHOS“-Schriftzug – rauf, runter, rauf, runter – so allmählich verschwindet. Ein Auto nähert sich, hält an. Der Fahrer, junger Mann mit Baseball Cap, lässt die Scheibe runter und will es wissen: „Was passiert’n hier? Verschwindet das Pathos? Also. Nicht gut. Nicht gut. Ich will eigentlich, dass alles so bleibt wie es ist.“  Das Pathos wird bleiben, kann man ihm versichern. Die Wände werden halt neu gestaltet … „Hm, hm“, sagt der junge Mann so halb überzeugt und fährt weiter. Was war das denn jetzt? Jedenfalls ziemlich schräges Theater. Ella fährt mit der Rolle durch die flache Farbwanne, sagt, „let’s go on“ und „nichts bleibt, wie es ist“ und macht weiter. Dann lacht sie. „Vielleicht gefällt’s ja keinem, was ich hier mache, und morgen ist es wieder weg. I don’t know.“ Wandbilder und überhaupt Mauern seien etwas Temporäres, fügt sie hinzu, und dass das genau das wäre, was sie an ihnen möge, auch weil sie das von Monumenten unterscheide.

Zwei Tage später — das Wetter ist kein bisschen besser geworden — ist das Kunstwerk fertig, bedeckt schwingend weiße Schrift das Pathos an dessen Außenwand rechts vom Eingang, drinnen im schachtig-schmalen Eingangsturm (da war eine Scherenhebebühne nötig) wie im „Salon“, der hinter der Bar links vom Hauptraum abgeht, Richtung Backstagebereich. Erster Eindruck: Es hat etwas Dekoratives wie Forderndes, etwas Dynamisches, Tanzendes, etwas Schmeichelndes, etwas, was erkannt werden kann, aber nicht muss. Denn da stehen ja Buchstaben, stehen Wörter, steht Schrift in eigenwilligen Zeilen, die es darauf ankommen lassen, wohin das alles führt, stehen Gedichte (in englischer Sprache) von So Mayer (draußen), CAConrad (im Turm), Laurie Anderson und Lotta Thießen (drinnen). Gemeinsam sei denen, „dass die einfach ungemein gute Poesie“ seien und dass die Texte „zur jeweiligen Architektursituation hier“ passten.

Ella Ponizovsky Bergelsons „Wordscapes“ ist ein poetisches Wandbildprojekt, das die Räumlichkeiten des Pathos mitdenkt und etwas mit ihnen macht. Besucher*innen des Theaters können mit ihm anfangen, was sie wollen, übersehen lässt es sich nicht. Wer sich drauf einlässt, endet wahrscheinlich und nach einigen Kippmomenten des Begreifens und Wahrnehmens beim Lesen. „Und das ist es ja, was sich erfahren lässt“, sagt Ella, „dass beim geschriebenen Wort meistens der Inhalt im Vordergrund steht“. Werde Text aber bewusst visualisiert, werde ein visuelles Element aus ihm, werde die ganze Sache abstrakter und eröffne eine total neue Textebene. Auszubrechen, darum geht es oft in Ella Ponizovsky Bergelsons Kunst, die an den unterschiedlichsten Orten der Welt zu sehen ist (einiges davon in Berlin). Sie arbeitet viel mit unterschiedlichen Schriften, in unterschiedlichen Sprachen, schreibt jiddisch, hebräisch, arabisch, auf Englisch, Deutsch …, beschreibt Scheiben, Mauern, Wände. Gibt dem Fluiden, Hybriden, Wankenden, Schwankenden seinen Platz. „Binäres“, das die Welt weder alleinig ausmache noch beherrschen dürfe, sei auf seine Funktion als Ordnungs- wie Orientierungsmoment festzulegen, vielleicht zu begrenzen.

Geboren wurde Ella Ponizovsky Bergelson 1984 in Moskau. 1991 ist sie nach Israel ausgewandert, studierte an der Bezalel Academy of Arts in Jerusalem sowie an der School of Visual Arts in New York City. 2016 dreht sie Israel den Rücken zu („I was sick of it, suchte ein leichteres Leben“) und geht, ja richtig, nach Berlin, der Stadt, in der sich etwa 100 Jahre zuvor schon ihr Urgroßvater aufgehalten hatte, Dovid Bergelson. Bergelson war Schriftsteller, gilt als richtungsweisend in der jiddischen Literatur der Moderne und wurde 1952 unter Josef Stalin in der „Nacht der ermordeten Dichter“ in Moskau hingerichtet. Seit sie in Berlin lebt, liest Ella die Texte ihres Urgroßvaters. „Das Berlin, das er beschrieben hat“, sagt sie, „erkenne ich wieder“.

Was sie fürs Pathos geschaffen hat, wird bleiben. Wie lange, weiß kein Mensch.