Ulrike Draesners neuer Roman „Die Verwandelten“

Von Ursula Sautmann

ein schweres buch, das wir unseren Leserinnen und Lesern hier empfehlen. Auf 600 Seiten geht es in „Die Verwandelten“ um Krieg und Gewalt, um Flucht und Vertreibung über das gesamte letzte Jahrhundert hinweg bis in die Gegenwart. Der neue Roman von Ulrike Draesner handelt ausschließlich von Frauen, deren Leben in Polen und in Deutschland im Laufe des Buches und über drei Generationen hinweg zusammengeführt werden.

Das Buch versteht sich als Flügel eines Triptychons. Der Roman „Sieben Sprünge vom Rand der Welt“ bildet den zweiten Flügel und handelt im Kern von der Geschichte des Vaters der Autorin, der aus Schlesien vertrieben wurde. Im Mittelteil, im historisch-biographischen Roman „Schwitters“, geht es um die Kraft, die Kunst auch im Krieg und im Exil entfalten kann.

Wer über Krieg und Zwangsmigration schreibt, muss über Gewalt schreiben. Die Gewalt, die Frauen angetan wird, geht nicht immer nur vom „Feind“ aus. Ulrike Draesner will diese spezielle Gewalt gegen Frauen begreifbar machen, nicht indem sie sie direkt darstellt, sondern ihre Auswirkung auf die Opfer in Worte fasst, in Sprache übersetzt. Dabei bedient sie sich unterschiedlichster sprachlicher Mittel: Sie unterbricht Sätze, lässt Satzteile verschwinden, wiederholt Wörter, streicht Teile eines Satzes durch oder bemüht Bäume und Wolken, um Gedanken und Gefühle einzufangen. Denn es geht um das, was die Protagonistinnen nicht in Worte fassen können. „Ich verstumme mich in mir selbst“, heißt es einmal von Alissa, deren Position im Generationenzusammenhang hinten im Buch graphisch dargestellt ist.

„Ich schreibe, um Stimmen hörbar zu machen, die gemeinhin überhört werden“, schreibt die Autorin in einer Verlagspublikation ergänzend zu ihrem Buch. Der Stoff ist hart, die Frauen brauchen (und haben) Kraft ohne Ende, um weiterzuleben. Dass „Die Verwandelten“ die Leser/innen nicht niederschmettert, ist das große Verdienst der Autorin. Denn ihre Figuren geben sich gegenseitig Halt und kommunizieren auf ihre Weise: Sie sticken! Sie bewahren sich ihre Sinnlichkeit und ihren Humor! Was bleibt, sind Trost und Hoffnung durch Literatur.

Ulrike Draesner wurde in München geboren und unterhält enge familiäre Beziehungen zur Stadt. Sie schreibt Gedichte und übersetzt aus dem Englischen und Französischen, und sie lehrt als Professorin am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig. „Die Verwandelten“ war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, für „Schwitters“ hat die Autorin 2020 den Bayerischen Buchpreis erhalten.

Ulrike Draesner:
Die Verwandelten
Roman, 600 Seiten
Penguin Verlag, München 2023
26 Euro
ISBN: 978-3-328-60172-2