Lea Singers neuer Roman
Von Ursula Sautmann
„Die Erdbeeren schwitzten.“ Der erste Satz in „Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe“ zieht die Leserin, den Leser direkt hinein in die sieben Jahre dauernde Geschichte der Liebe zwischen Andrea Manga Bell und dem berühmten österreichischen Autor – die Erdbeeren landen in seinem Grab, die Liebe und der Geliebte sind tot.
Roth, geboren im galizischen Schtetl Brody, arbeitete als Journalist und Schriftsteller, Andrea Manga Bell, A. in den Notizbüchern von Roth, Tochter einer Hugenottin in Hamburg, war Redakteurin. Beide waren verheiratet, als sie sich kennenlernten. Beide hatten eine belastende Geschichte hinter sich, deren Einzelheiten im Buch immer wieder aufscheinen. Beide fühlten sich nirgends zugehörig, beide sind in den 30er Jahren in Deutschland Zielscheibe antisemitischer und rassistischer Pöbeleien und Bedrohungen – der aktuelle Bezug drängt sich auf. Doch wie unterschiedlich der Umgang der beiden ist mit den Umständen, die sich durchaus als lebensbedrohlich bezeichnen lassen!
Roth schreibt, säuft, leidet, jammert und lügt. A. arbeitet viel und unentgeltlich für Roth, singt gern, beobachtet die Intellektuellen um Roth und wundert sich über deren Verlogenheit. A. ist klug und durchschaut, was gespielt wird, durchschaut auch Roth und seine schreckliche Eifersucht. Und sie trägt ihm die Erdbeeren hinterher, denn „sie waren zart und stark und wussten um ihren Wert“, heißt es im Roman. In der Heimat ihres Geliebten war die Erdbeerernte immer sehnsüchtig erwartet worden, die Erdbeeren stehen im Roman für eine Seite Roths, die nur A. sehen kann.
A. liebt Roth, wohl wissend, dass sie ihm nicht vertrauen kann. Sie steht ihm treu zur Seite. Heilig ist, wer vorbildlich und rein in Beziehung zu Gott lebt, der katholische Bezug im Titel des Buches weist auf einen Aspekt des widersprüchlichen Charakters des Schriftstellers hin: Er wollte mal Jude, mal Katholik sein. Und ganz sicher ist der Titel auch eine Anspielung auf „Die Legende vom heiligen Trinker“ von Roth.
Eva Gesine Baur, Autorin aus München und promivierte Kunsthistorikerin, hat Biografien über Mozart, Chopin und Maria Callas verfasst. Unter dem Pseudonym Lea Singer schreibt sie Romane über Persönlichkeiten der Kunstgeschichte auf der Grundlage von Archivmaterial, Interviews und historischen Fakten. Im Blog der Monacensia erzählt sie, dass sie Andrea Manga Bell jahrzehntelang gefolgt war durch Wohnungen, Hotels, Cafés und Bars in Hamburg, Berlin und Paris. Das Buch über sie nahm Gestalt an, als die Neonazi-Szene in der BRD nicht mehr zu übersehen war. „Da war das Anschwellen der AfD, das alle Lügen strafte, die sagten: Die werden nicht gefährlich.“ Rassismus und Antisemitismus sind die unheiligen Begleiter der Liebenden im Buch. „Die Heilige des Trinkers“ ist nicht zuletzt auch ein Werk „gegen alle, die morgen wieder Joseph Roth und Andrea Manga Bell zusammenschlagen würden“, schließt Lea Singer im Blog.
Lea Singer:
Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe
Roman, 303 S.
Kampa Verlag, Zürich 2023
24 Euro