Ein Thomas-Mann-Roman der Münchner Schriftstellerin Kerstin Holzer

Von Marie Türcke

„Ferien machen, was heißt das anderes, als zu versuchen, so manchem Dunkel zu entwischen und den Kopf mit frischen, beglückenden Gedanken und Eindrücken zu füllen? Womöglich mit: Frieden?“ Das denkt sich Thomas Mann in Kerstin Holzers neuem Buch, das pünktlich zu seinem 150. Geburtstag erschienen ist.

Falls Sie jetzt denken, „Toll, noch ein Buch über Thomas Mann, braucht es das wirklich?“ – ich gebe zu, ich war auch kurz skeptisch – ja dieses Buch braucht es! Geschichten wiederholen sich schließlich ständig, es geht um sich stetig wiederholende Motive, im fiktiven, wie im echten Leben: Liebe, Identität, Familie, Überleben, Sinn. Ob eine Geschichte uns in den Bann zieht, ist selten vom Plot abhängig, es ist das Wie des Geschichtenerzählens. Und hier ist Kerstin Holzer ein wunderbares Wie gelungen, leicht und zugänglich, intim, aber wertungsfrei beschreibt sie einen einschneidenden Sommer im Leben von Thomas Mann.

Sommer 1918: die Familie Mann mietet ein Haus am Tegernsee. Es sollen erholsame Wochen werden – doch die Welt steht vor großen Umbrüchen. Der Erste Weltkrieg neigt sich dem Ende zu, in Deutschland wächst die Unzufriedenheit, Hunger und politische Spannungen prägen das Land. Auch Thomas Mann ist in einer persönlichen Krise: Seine Streitschrift „Betrachtungen eines Unpolitischen“ isoliert ihn politisch immer mehr, auch von seinem Bruder Heinrich hat er sich über sie entfremdet. Er hat sich mit Kriegsanleihen verspekuliert, muss seine Villa verkaufen und fragt sich, wie es weitergehen soll – als Mensch und als Schriftsteller.

Kerstin Holzer beschreibt diese Monate mit viel Gespür für Atmosphäre und Details. Ihr Stil ist ruhig, anschaulich und zugänglich. Wir begleiten Thomas Mann bei Spaziergängen mit seinem Hund Bauschan, beim Rudern mit seiner Frau Katia, beim schmerzhaften Zahnarztbesuch oder beim Wandern auf den Hirschberg und erleben, wie sich in kleinen Schritten auch sein Blick auf die Welt verändert – und auf sich selbst.

Das Buch ist nicht nur eine biografische Momentaufnahme, sondern auch eine Liebeserklärung ans Ferienmachen. Am schönsten ist es vielleicht dort zu lesen, wo auch Thomas Mann gern war – am Wasser, in der Sonne. Wie Holzer schreibt:
„Bleicher Himmel, weiße Sonne. Die Milchigkeit des Lichts. Unter dem Steg gluckert der See, Libellen schweben über funkelndem Blau. Die schläfrige August-Trance, nach dem Baden auf Holzplanken zu liegen, die geschlossenen Augen, auf deren Lidern Wassertropfen verdunsten.“

Ein Buch auch für diejenigen, die sich fragen, ob Wandel möglich ist, ob Festgefahrenes sich nochmal öffnen kann, ob politische Einstellungen wirklich wandelbar sind. Und ein Buch, das uns ab Seite eins mitnimmt und von dem wir am Ende gerne noch etwas mehr hätten.

Kerstin Holzer:
Thomas Mann macht
Ferien – Ein Sommer am See, Roman
Hardcover, 208 Seiten
Kiepenheuer&Witsch, Köln 2025
22 Euro