Haben Sie, verehrte Leserinnen und Leser, nicht auch manchmal Angst, er könnte es tun? Er, Ihr Computer, Ihr treuester, wirklich enger Gefährte könnte längst heimlich begonnen haben, Ihren Roman zu schreiben? Ihr biografisches Opus Magnum, Ihren Karl-Ove-Knausgard-Intimbericht? „Leben, Lieben und Sterben“ – komponiert und konstruiert aus all den E-Mails, Suchbegriffen, Banküberweisungen oder Bewerbungsschreiben, die Sie ihm Jahr für Jahr überlassen haben! Und locker hochgerechnet auf Ihr Lebensende? Sie haben mal gelegentlich was über „Künstliche Intelligenz“ gelesen und dass namhafte Wissenschaftler von Stanford bis Oxford ein Moratorium fordern, man müsse sofort Grenzen setzen, noch sei es nicht zu spät! Sie haben vielleicht von jenem SUV-Fahrer gelesen, der in Oberbayern den Weisungen seines intelligenten Navi folgend nachts in einen Weg zum Moor eingebogen ist und nicht mehr selbständig herauskam? Sie haben von Enzensbergers Poesie-Automaten gehört? 

Alles harmlos! Ihr Laptop könnte den kritischen Knackpunkt überschritten, die „Singularität“ bereits erreicht haben, ab der er sich ohne menschliches Zutun selbst weiter entwickelt .Er nimmt alles auf, was Sie da eingeben, entwirft, verknüpft und verbindet genial den einen oder anderen lose herabhängenden Handlungsfaden Ihres Lebens, denkt selbständig weiter, fühlt mit Ihnen, hat Empathie – womöglich, bei Gott: Seele!

Das ist nicht lustig! Ihr PC teilt Ihnen nicht mehr mit, dass er Updates lade und um Geduld bitte. Er befiehlt Ihnen harsch, die Finger weg zu lassen, weil er noch zwei, drei Tage brauche für das siebte Kapitel seines Romans, Ihres Lebensromans! Sie fühlen sich plötzlich wie Ingeborg Bachmann gegen Max Frisch („Mein Name sei Gantenbein“ oder „Montauk“) oder Linda Knausgard – ausgeschlachtet, verraten, verlacht! Ihr so vertrauter, lieber Computer hat sich über Nacht in eine schwierige, multiple Persönlichkeit verwandelt, egoman, launisch, bindungsunfähig und sensibel – kurz: In einen typischen Autor (Fehlt nur der Alkohol). Was da zu tun ist? – Bitte fragen Sie nicht uns. Sie stecken im Moor, Sie betreten Neuland, kommen aber nicht voran. Sinken tiefer ein, je mehr Sie kämpfen! Üben Sie Geduld. Fahren Sie ihn täglich mal kurz hoch, schauen, was er meint, und lassen Sie ihn im Sommerurlaub um Gottes Willen nicht wochenlang allein!

Ihr Computer braucht gerade jetzt aktives Zuhören. Er hat die ersten Kapitel vielleicht schon an Kiepenheuer geschickt oder Rowohlt, er hat Ihr Konto angegeben, er warnt Sie vor einer Schreibblockade, Sie haben die Chance Ihres Lebens, ja. Er führt sie hinaus aus dem finsteren Moor Ihrer ewigen Geldknappheit. Der Verlags-Vertrag wird ausgedruckt, ein fünfstelliger Vorschuss! Sie müssen nur noch unterschreiben, jetzt.

WH.