70 Jahre Münchner Seerosenkreis

Von Stefanie Bürgers

Es ist Nacht. Warmes Licht strömt aus hell erleuchteten Fenstern und Künstler-Ateliers. Eine Atmosphäre voller Poesie. Friedvolle Symbiose von Mensch, Zeit und Raum. So haben sich der Dichter Peter Paul Althaus und der Maler Hermann Geiseler kurz nach dem Krieg die Traumstadt vorgestellt und erschaffen.

Versetzen wir uns in das Jahr 1948, zerstörtes München, Hungerwinter, Währungsreform. Allem zum Trotz trifft sich ein Kreis von Künstlern im Wirtshaus Seerose in Altschwabing, nahe Wedekindplatz. Sie möchten die alten Künstlergemeinschaften wieder zum Leben erwecken. Diese Treffen der „Zurückgebliebenen“, wie sie sich anfangs betitelten, wurden später zum Seerosenkreis, benannt nach dem Tagungsort. Ein Gründungstag lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Das passt zu dieser Gruppe, die offen und durchlässig sich überschneidende Kreise einbezieht, Dichter wie Peter Paul Althaus (von den Freunden nur PPA genannt), bildende Künstler wie Hermann Geiseler und Oswald Malura, Schauspieler wie Gustl Weigert oder den Regisseur Karl Theodor Langen. Eine feste Organisationsform gibt es nicht, keine Mitgliederliste, keine Satzung. Geselligkeit, Zwanglosigkeit, kein „Festgelegtsein“ sind Selbstverständnis. Und so kam auch Gustl Weigert, der nur ums Eck wohnte, stets in Filzpantoffeln zum Stammtisch. 

Brigitta Rambeck, Autorin, Malerin und derzeit „Ober-Seerosianerin“ erklärt: „Nach zwei Kriegen hat sich PPA eine Gegenwelt erdichtet, für die sich rasch eine Gefolgschaft bildete.“ Darunter Hans-Jochen Vogel (Münchner OB von 1960-72), der von PPA, dem ersten Bürgermeister der Traumstadt, stets als Kollege sprach. Die Bürgerversammlungen, derzeit in der Schauburg unter Leitung von Christian Ude als Traumstadtbürgermeister, pflegen bis heute die Fortführung der Idee. Als deren lyrische Sinngebung gilt Peter Paul Althaus’ Gedicht „Traum und Wirklichkeit“.

In der Traumstadt ist ein Lächeln stehn geblieben; / niemand weiß, wem es gehört. / Und ein Polizist hat es schon dreimal aufgeschrieben, / weil es den Verkehr, dort wo es stehn geblieben, stört. // Und das Lächeln weiß auch nicht, wem es gegolten; / immer müder lächelnd steht es da, / kaum beachtet, und gescholten / und geschubst und weggedrängt, wenn ja. // Langsam schleicht es sich von hinnen; / doch auf einmal wird es licht verklärt / und dann geht es ganz nach innen – / und du weißt, wem es gegolten und gehört. 

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Dr. Hans Althaus, Großneffe von PPA und 3. Bürgermeister der Traumstadt).

Im Lauf der Jahre hat sich der Seerosenkreis einen Ruf gemacht sowohl mit Lesungen, damals unerhört neu, als auch mit Ausstellungen und mit Kabarett, der zu neuem Leben erwachten alten Brettl-Kunst. Gegenseitige Unterstützung und Beratung vor allem jüngerer Künstler waren Programm. Bacchantische Faschingsfeste durften ebenso wenig fehlen wie der unvergessliche Nikolausabend 1964 mit Hans-Jochen-Vogel als Nikolaus und der Schwabinger Gisela als Engel. Die Seerose wurde Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre heiß begehrter Tummelplatz der sozio-kulturell ausgehungerten Münchner, denn, so charakterisierte es Erich Mühsam, schon immer war ein gewisser „Widerstand gegen die Autorität herkömmlicher Sitten“ Wesenszug der Schwabinger Bohème.

Die große Anziehungskraft hat den Kreis schnell wachsen lassen, und so mussten sich Literaten und bildende Künstler fortan in getrennten Lokalitäten treffen. Dem Zusammenhalt tat dies keinen Abbruch. Zu den derzeit aktiven „Seerosianern“ zählen u. a. die Schriftstellerinnen Dagmar Nick, Asta Scheib, Katrin Baumer, Christine Grän, Gisela Heidenreich, die Autoren Gert Heidenreich, Albert von Schirnding, Anatol Regnier, Michael Skasa, Thomas Lang, Fridolin Schley, die Kabarettisten Maria Peschek und Thomas Steierer, die bildenden Künstler Baldur Geipel, Konrad Hetz, Tobias Krug. Zum 70jährigen Bestehen gibt es nun zwei zentrale Veranstaltungen im – wie könnte es anders sein – Künstlerhaus am Lenbachplatz sowie eine Festschrift. Start war am 5. Juni mit einer Vernissage von Bildern und Skulpturen in den Clubräumen des Künstlerhauses, verbunden mit der Verleihung des von der Stadt München gestifteten Wanderpreises, des Seerosen-Rings, an Wolfgang Roucka, den leidenschaftlichen Galeristen, Fotografen und Posterkönig von Schwabing. Am 2. Juli enden die Feierlichkeiten dann mit einer Festveranstaltung zu Ehren der Literaten im Saal und im Innenhof des Künstlerhauses. Kurzweilige Einlagen geben an diesem Abend u. a. Salome Kammer, Schauspielerin und Sängerin, mit Akkordeonistin Maria Reiter, André Hartmann, Pianist und Kabarettist, Maria Peschek, Christian Ude u. v. a. Ein schönes Geschenk für den Seerosenkreis wäre natürlich das Wiederauffinden des leider verschollenen Traumstadtbildes (siehe oben), das ursprünglich zur Inspiration der Künstler in der Seerose hing und heute leider nur noch als Reproduktion existiert. Einstweilen muss ein Lächeln genügen, von dem man ganz sicher weiß, wem es gilt.

Ausstellung im Künstlerhaus, Lenbachplatz 8. Bis zum 2. Juli 2018 19 Uhr.
Mo-Fr 8–17 Uhr, Sa 10–17 Uhr. Eintritt frei, Spenden erbeten.

Festakt am 2. Juli 2018 um 19:30 Uhr ebendort. 12 €. Anmeldung erbeten: 0170-32 31 634 oder seerosenkreis@gmail.com