Von Katrin Diehl

Am Anfang steht der Tod und das Erstaunen des erwachsenen Sohnes darüber, was das bei ihm auslöste, vaterlos zu sein. Denn eigentlich war er das schon lange gewesen. Der Vater, unfähig für ein Familienleben, unfähig, Verantwortung zu übernehmen, hatte die Szene verlassen. Zurück geblieben waren die Mutter und ihr siebenjähriger Sohn. Eine kleine Schicksalsgemeinschaft, ein kleiner Scherbenhaufen und Geldsorgen hingen in der Luft.

30 Jahre lang war der Vater einfach weg. Eine Zeit, die sich füllen lässt mit Geschichten, Bildern und Vorstellungen darüber, was alles passiert sein könnte. Kleine Wahrheiten und Erinnerungen setzen die Fantasie in Gang, schaffen eine „halbbiografische“ Vater-Lebensgeschichte, eine Graphic Novel der besonderen, der eindringlichen Art, gezeichnet und geschrieben von Uli Oesterle, 1966 in Karlsruhe geboren, vaterlos aufgewachsen und schon viele Jahre in München und der Comic-Szene zuhause. Dem Vater verpasste er in seiner Story den Namen Rufus Himmelstoss, ein dem Alkohol wie schönen Frauen sehr zugeneigter Mann, der sich mit einer gewissen Coolness von Absturz zu Absturz hangelte und den Oesterle ins schräg-schrille München der 70er Jahr versetzt (mit Wiedererkennungswert, für die, die damals mitmischten in der Münchner Schickimicki-Gesellschaft). Um über die Vater-Welt Bescheid zu wissen, hatte sich Oesterle für einige Wochen ins Obdachlosen-Milieu begeben, hat Erfahrungen gesammelt, die ihn wieder ein Stück näher brachten an das, was ihn beschäftigte und wovon er erzählen wollte. Seine Panels ziehen rein, berühren, machen Grinsen, und lassen seufzen angesichts dieses verlorenen, kranken Manns, der eben auch und seltsamer Weise Vater war. Es wird weiter gehen mit ihm und den Menschen um ihn herum. Denn vier Bände „Vatermilch“ sollen es werden. Bis 2025.

Uli Oesterle: Vatermilch.
Buch 1: Die Irrfahrten des Rufus Himmelstoss.
Graphic Novel, 130 S., Carlsen Verlag, Hamburg 2020.
20 Euro