In Erinnerung: der Dichter, Schriftsteller und Literaturkritiker Peter Hamm

Von Katrin Diehl

Zu welcher Größe wächst Literatur, wenn man ihr sein Leben verdankt? Nicht, dass man ohne sie tot umgefallen wäre, aber man hätte es wohl kaum heraus geschafft aus der miefigen Dumpfheit, aus den gewaltschwangeren Kinder- wie Jugendtagen, die einem zugedacht waren. So etwas führt zu einem fast körperlichen Verhältnis zum Buch, zur Literatur, zu allem Gedruckten, zu „Kraut und Rüben“. Die Entdeckung von Geschichten, Gedichten, wohlgesetzten Texten kann am Ende Kraft geben, die Weichen umzustellen. Und man kommt da raus aus diesem Sumpf. Als „Motiv“ zieht sich der „Rettungsanker Literatur“ durch ganz viele Büchermenschen-Existenzen. Wir wissen das, und auch, dass sich das Schicksal damit die unermüdlichsten Anwälte und Anwältinnen der Literatur herangezogen hat, ausgestattet mit einer fast zwanghaften Literaturleidenschaft, die jedoch immer, ganz tief drinnen, einen Schmerz in sich trägt. Bis es den „Gäulen der Erinnerung“ in einem freien, fast befreienden Moment erlaubt ist, los zu galoppieren, eine „Gelegenheit“, die – ohne Frage – nur ein anteilnehmender Zuhörer, eine anteilnehmende Zuhörerin herzustellen vermag.

Peter Hamm, der vergangenen Sommer am 22. Juli mit 82 Jahren in Tutzing gestorben ist, wird der Literatur, der Kulturstadt München sehr fehlen mit seiner sanften Beharrlichkeit und seiner leisen Ernsthaftigkeit. Das mit der alles anderen als guten Kindheit war durchaus schon etwas bekannt gewesen. So im Einzelnen drang es nicht an die Öffentlichkeit. Denn es ging ja um Literatur und nur um sie. In „Die Gäule der Erinnerung“, einem schriftlich festgehaltenen Gespräch, das er etwa ein Jahr vor seinem Tod in Oldenburg mit Matthias Bormuth, Professor für Vergleichende Ideengeschichte, eben dort geführt hatte, nimmt die Schilderung seiner Kindheitsqualen eine sehr zentrale, erschütternde Rolle ein, die alles Weitere – atmosphärische Erinnerungen an die Literaturszene der jungen, beizeiten zwielichtigen BRD – als schiere Folge begreifen lässt.

Als Peter Hamm sich also dann ohne Schulabschluss aus dieser dunklen, gewalttätigen Klosterschule in Oberschwaben herausgewunden hatte, wurde er nach und nach einer von denen, die sich ganz dreist den Bewunderten aus Dichtung und Kunst mit Briefen aufgedrängt haben, die irgendwann – meistens ist man getrampt – vor deren Haustür standen, ob in Paris, Stockholm, London …

Peter Hamm schrieb selbst bis in die 80er Jahre hinein Gedichte, blickte sich mit weitem Literatenherz in der gesamten europäischen Literaturwelt um, mochte sehr Tomas Tranströmer, Zbigniew Herbert, Fernando Pessoa, begleitete seine Lieblinge mit klugen Essays. Jahrzehntelang war er prägender Kulturredakteur beim BR, schrieb für den Spiegel, die ZEIT, drehte wunderbare, sich Zeit lassende Filme über Ingeborg Bachmann, Peter Handke …, führte ein (auch immer wieder in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste), hielt Preisreden, die für sich standen. Der berührende Nachruf des engen Freundes „Michel“ Krüger beendet das kleine aber feine Bändchen „Die Gäule der Erinnerung“ aus dem ebenso kleinen aber feinen Ulrich Keicher Verlag. Verkürzt war er bereits in der Frankfurter Allgemeinen zu lesen gewesen. Aber hier in diesem Heft liegt alles noch einmal offener, klarer, ausgesprochener zum Lesen bereit.

Peter Hamm: Die Gäule der Erinnerung. Mit einem Nachruf von Michael
Krüger, eingeleitet und herausgegeben von Matthias Bormuth, 36 S.
Verlag Ulrich Keicher, Leonberg 2019, 12 Euro