Von Ursula Sautmann

Hier, im Erdgeschoss des Literaturhauses, geht es um eine Intellektuelle mit Ausstrahlung, da lässt der Eingang keine Zweifel zu. Wer „Everything matters“ in der Galerie (direkt neben Kaffee und Kuchen in der Brasserie) betritt, ist sofort gefesselt von der Eigenwilligkeit, mit der diese Frau in die Kamera schaut. Distanziert und doch ganz nah, spröde und sexy zugleich – diese Wirkung ist nicht jeder gegeben. Die Bilder in der Ausstellung, sie sind der Einstieg in eine Welt ohne Grenzen, zumindest thematisch. Da geht es um Literatur und Film, um Museum und Theater, um Essays und Romane, um Krieg und Krankheit, kurz: um Kultur und Gesellschaft.

Das Werk der Susan Sontag (1933 – 2004) ist umfangreich, es gibt zahllose Veröffentlichungen (Romane, Theaterstücke, Essays, Filme) von ihr und über sie. „Everything matters“ schrieb sie bereits als 16-jährige in ihr Tagebuch. Der Ausstellung gelingt es, den Besucher*innen eine Struktur zu bieten. Die Grundidee findet sich im Essay „Susan Sontag. 100 Seiten“ von Anna-Lisa Dieter, lesenswert und am Eingang erhältlich. Kuratorin Anna Seethaler und ihr Team haben es in fünf Stationen umgesetzt, jede mit einem Motto: „Lesen“, „Schreiben“, „Sehen“, „Handeln“, „Überleben“. Die Stationen sind Wolkenkratzern nachgebildet. Susan Sontag war New Yorkerin aus Leidenschaft, und Wolkenkratzer-Modelle in Großformat umhüllen den Ausstellungsraum. Das schafft erstaunlich schnell Großstadtatmosphäre auf kleinem Raum im architektonisch eher gemütlichen München.

Die erste Station „Lesen“ führt in das Leben einer Frau ein, die schon mit drei Jahren Comics und mit sechs Jahren Bücher liest und damit nie wieder aufhört. „Mein Ort ist da, wo meine Bücher stehen“, sagte sie und machte diese zum integralen Bestandteil des Bildes, das sie der Öffentlichkeit von sich erfolgreich zu vermitteln verstand. Die Station „Schreiben“ widmet sich u. a. den wohl bekanntesten Essays „Notes on Camp“ (1964) und „Against Interpretation“ (1966). Als „Camp“ wird eine Haltung bezeichnet, die leidenschaftlichem Genuss von Glamour und Trash abseits des Mainstreams huldigt, wie er mit schwuler Subkultur verbunden wird. In „Against Interpretation“ geht es um die ganz eigene, sinnliche Rezeption eines Kunstwerks. „Wir müssen lernen, mehr zu sehen, mehr zu hören und mehr zu fühlen“, forderte Sontag – und wandte sich doch in ihren übrigen Werken der so genannten Hochkultur zu.

Station III „Sehen“ stellt ihren Essayband „On Photography“ vor, der noch heute Anerkennung genießt, in Station IV „Handeln“ wird zum thematisiert, dass sie sich in Hanoi und in Sarajewo selbst ein Bild machte von der Situation im Krieg und – abseits vom Glamour New Yorks – ohne Licht und fließendes Wasser arbeitete. Beeindruckend ein Beitrag der FAZ vom 15. 9. 2001, der (angesichts der Terroranschläge von 9/11) mit dem Satz endet: „Stärke ist nicht alles, was Amerika jetzt zeigen muss.“ In „Überleben“ (Station V) geht es – ohne dass je von ihrer eigenen Situation die Rede ist – um ihre Haltung zu tödlichen Krankheiten wie AIDS und Krebs. Bemerkenswert an all ihren Schriften ist, dass Susan Sontag ihre persönliche Betroffenheit nie zum Thema machte. Über ihr Bild in der Öffentlichkeit sollen, neben ihren Werken, Fotos entscheiden, wie das von Richard Avedon im lässigen Ledermantel von Hermès: charakteristisch für sie, ikonisch für die Öffentlichkeit. Besagter Ledermantel sowie ein Montblanc-Füller und eine von ihr bearbeitete Ausgabe von Walter Benjamins „Understanding Brecht“ sind übrigens als Originale zu sehen. Tanja Graf, Leiterin des Literaturhauses, hat sie sich bei Sontags Sohn David Rieff in New York für die Ausstellung ausgeliehen.

Die Ausstellung hält noch vieles Interessante vor: so die berühmten Listen der Autorin („Was ich mag, was ich nicht mag“, „Dienstag: Erschöpfung“), Stellungnahmen von Weggefährt*innen wie Paul Auster, zahlreiche Videos und einen längeren Film. Für den Besuch sollte man sich Zeit nehmen. Die Belohnung folgt auf den Fuß: das Gefühl, ein wenig den üppigen Ledermantel geöffnet und hineingeschaut zu haben in das Leben einer Frau, die sich allem auslieferte, was um sie herum war und stattfand – und darüber schrieb. Und unweigerlich stellt sich die Frage: Was würde Susan Sontag wohl heute über die USA unter Donald Trump schreiben?

Die Ausstellung läuft noch bis zum 30. November und ist täglich von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet. Außerdem gibt ein interessantes Rahmenprogramm (www.literaturhaus-muenchen.de). Vom 4. bis 31. August ist Sommerpause!