Ein Gruß aus New York
Das Kunstmal für Oskar-Maria Graf von Jenny Holzer

Von Ina Kuegler

Der Earl Grey dampft in der Tasse, der Tee rinnt die Kehle hinunter, der Blick fällt auf die Untertasse. „Mehr Sexualität, die Herrschaften“ steht dort. Es ist nur einer von vielen Sprüchen in der Brasserie des Literaturhauses. Da heißt es etwa auf dem Papier-Set unter dem Suppenteller: „Ich habe wirklich eine große Angst vor der Zukunft, dass ich der ‚Berühmtheit‘ entgegenstrebe.“ Und an der Rückenlehne der Sitzbank steht eingraviert ins braune Leder: „Die aufgestapelte Erinnerung an Gehörtes, Gelesenes, Selbsterlebtes.“ Es sind Zitate von Oskar Maria Graf (1894 bis 1967), dem die New Yorker Künstlerin Jenny Holzer 1997 im und vor dem Literaturhaus ein Denkmal gesetzt hat.

Eigentlich sollte es ein klassisches Denkmal werden, ein Standbild à la Karl Valentin oder Liesl Karlstadt auf dem Viktualienmarkt. Doch dann setze sich eine progressive Mehrheit im Münchner Stadtrat durch und beauftragte die Installationskünstlerin damit, dem bayerischen Schriftsteller und New York-Emigranten ein Denkmal zu setzen. Einem größeren Publikum bekannt geworden war Jenny Holzer im Jahr 1993, als sie für die Süddeutsche Zeitung ein Heft des Magazins gestaltete. Um auf die Gewalt gegen Frauen im Balkankrieg aufmerksam zu machen, ließ sie von Frauen gespendetes Blut in die rote Druckfarbe mischen. (Das Heft ist heute antiquarisch für gut 50 Euro erhältlich.)

Holzer und Graf fanden zueinander, was durchaus erstaunlich war: Graf sprach kaum Englisch, Jenny Holzer kein Deutsch, kannte auch kein Werk von dem rebellischen Dichter – so jedenfalls die Kunsthistorikerin Katja Sebald, die eine Magisterarbeit über die New Yorker Künstlerin geschrieben hat. Holzer nahm den Auftrag des Münchner Stadtrats an – sie fühlte sich dem Exil-Schriftsteller wohl seelenverwandt. Ein Graf-Zitat aus dem Jahr 1948 hatte es der Amerikanerin besonders angetan, sie ließ es in eine Platte der beiden Steintische vor dem Literaturhaus eingravieren: „ Wenn man anfängt, die Worte, die man spricht oder schreibt, zu verantworten, wenn das Wort, das ich als Einzelner gebrauche, endlich im Einklang zu meinen Handlungen steht, erst dann wird eine Verständigung von Menschen zu Menschen, von Volk zu Volk wieder aufkommen, erst dann werden wir Vertrauen zu einander gewinnen und die gefährlichen, zutiefst unmenschlichen Vorstellungen wie ‚Vaterland‘, ‚Nation‘ oder ‚Besonderheiten‘ verlieren.“

Vor dem Kaffeehaus am Salvatorplatz stehen die beiden Steintische – in der Brasserie des Literaturhauses ist eine Lauflichtsäule, ein senkrecht laufendes LED-Schriftband, hinter der Theke platziert. Jahrelang war es falsch programmiert und unlesbar, seit kurzem läuft es etwas langsamer, mit viel Glück zu entziffern ist ein Text von Oskar Maria Graf. Weitere Sprach-Denkmale sind auf den Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen im Restaurant zu entdecken. Die Sprüche, ausgewählt von Verena Nolte vom Münchner Kulturreferat, muten bisweilen seltsam an: „Mehr Erotik bitte“ spiegelt ganz sicherlich eine Seite von Graf wider, aber Katja Sebald – und mit ihr wohl sehr viele andere Besucher des Literaturhauses – würden viel lieber auf das für den Exil-Dichter so prägende Zitat „Verbrennt mich“ stoßen. Mittlerweile sind die von Villeroy& Boch gestalteten Tassen und Teller dezimiert – den Espresso trinken die Kaffeehaus-Besucher schon seit Jahren nicht mehr aus den Originaltassen, sondern aus denen von Eilles oder Lavazza. Und die Bierfilzl mit Graf-Zitaten gibt es schon lange nicht mehr.

In der Reihe der Münchner Dichter-Denkmäler nimmt das Kunstwerk von Jenny Holzer eine herausragende Rolle ein. In der 1990er Jahren machte sich Holzer international einen Namen mit der Gestaltung und Umdeutung von Denkmälern, die Kriege oder die NS-Zeit als historische Bezugspunkt hatten. Als Beispiele seien nur das Leipziger Völkerschlachtdenkmal genannt oder die Installation im Berliner Reichstag. Das Münchner Oskar-Maria-Graf-Denkmal ist ein für die 90er Jahre zukunftsweisendes Kunstmal – in der Brasserie des Literaturhauses macht darauf kein Flyer oder keine Info-Tafel aufmerksam. Schade.

P.S. In einer Serie stellen die „LiteraturSeiten München“ Dichter-Denkmäler in der Landeshauptstadt vor. Bislang waren es die von Kurt Eisner, Heinrich Heine, J. W. Goethe, Lion Feuchtwanger, Frank Wedekind, Clemens Brentano, Annette Kolb, Franziska von Reventlow und Franz von Kobell.