Von Slata Roschal

Wir sind im Urlaub. Die Wohnung ist ungemütlich, die Matratzen unbequem, das Bett eng, das Sofa staubig, draußen ist es zu warm und zu windig, und das erste Essen im ersten Restaurant, das wir in der Nähe finden, ist widerlich und unverschämt teuer. Ich kann nicht einschlafen, weine, fühle mich unglücklich und möchte mich in diesem Mittelmeer am liebsten ertränken. Es gibt kein Internet, keine Verbindung zur normalen, nichtmediterranen Welt. Hier wachsen Orangen auf den Bäumen und die Luft riecht süßlich. Allmählich gewöhne ich mich an die Nachbarskinder, die nachmittags im Garten Turnübungen machen und sehr nach Schweiß riechen, an die grell gekleideten, vollbusigen Frauen, an die schwarzhäutigen Verkäufer, die zwischen den Restauranttischen tanzen und mit Schlüsselanhängern und Armbändern klimpern, ich gewöhne mich an das schlechte Englisch der Kellner und meine eigene Sprachlosigkeit, Hilflosigkeit und Schwermut. Ich bin an dieser Küste in einem Vakuum verschlossen, ich kann nicht das machen, was ich sonst immer mache, jeden Tag, jede Bewegung muss gestoppt und nochmals überdacht werden, alle Gegenstände befinden sich an anderen Orten, an denen sie nichts zu suchen haben, und ich selbst bin an einem anderen Ort und es vermisst mich keiner. Wenn das Kind spät abends endlich schläft und wir uns in der verstaubten dunklen Wohnung lieben, kommen auf einmal gewohnte Gesten, Gerüche aus der alten Welt hoch, sie werden zu einem unveränderlichen Fixpunkt, auf den ich mich stützen kann, sie bedeuten Sicherheit, es gibt also etwas, was auch hier so geblieben ist, es wird zu einer symbolischen Handlung, einem magischen Ritual der Geisterbeschwörung. In den unzähligen chinesischen Läden am Strand kann man sich eine Sonnenbrille von Armani oder Gucci für glatte vier Euro kaufen. Wir kaufen dort nur Eis, immer das gleiche Eis von Nestlé, das überall auf der Welt zu kaufen ist, aber immer zu unterschiedlichem Preis, diesen Preis ist es nicht wert, es sind nur Wasser, Zucker, Saftkonzentrat und viele Stabilisatoren drin, aber wir kaufen es trotzdem immer, also hat es einen Sinn, und die Stabilisatoren auch.

Unser Kind will immer mehr Eis haben, zunächst eins am Tag, dann zwei am Tag, dann zwei auf einmal und so immer fort, bis wir uns ausrechnen, dass es ein Eis in zehn Minuten isst und an einem Tag theoretisch viele hunderte Portionen verschlingen kann, diese exponentielle Entwicklung wird uns unheimlich und wir sagen ab und zu: Das reicht jetzt. Ich kann nichts dafür, dass ich Geld habe, ich habe einfach Glück, was das angeht, ich lebe im richtigen Land, am richtigen Ort zur richtigen Zeit, und die Verkäufer lachen über mich und wollen, dass ich etwas bei ihnen kaufe, ich will die goldbestickten Kosmetiktäschchen gar nicht mehr und nehme trotzdem zwei Stück, warum lachen sie über mich. Indische, indisch-italienische, mexikanische, viet-namesisch-chinesische Restaurants, irische Pubs, britische Cafés, Frauen und Männer mit sonnenverbranntem, wundem Nacken, vor allem begreife ich nicht, wie die indisch-italienische Alliance zustande gekommen ist. Woher kommen Sie, schon das dritte Mal, wir zucken mit den Schultern, woher sollen wir das wissen, wir sind Russen, Deutsche, Juden, es dauert lange, unser Nationalitätengewirr mit seinen Ursprüngen, Strängen und Verflechtungen zu erklären, wir entscheiden uns spontan für eine Bezeichnung, die gerade am besten passt, dann sind die Leute zufrieden und nicken. Vor einem Restaurant, auf einer Straße, steht immer die gleiche Frau mit langen orangen Haaren, in einem rosa T-Shirt, Rothaarige dürfen kein Rosa tragen, das weiß doch jede normale Frau, aber jedenfalls spricht sie uns in Russisch an, wenn wir an ihr vorbeigehen, anscheinend denkt sie, dass wir so gerührt sind, dass wir in Spanien auf Russisch angeredet werden, dass wir gleich hineinstürmen in das Restaurant und uns jeweils drei Mal Paella, drei natural zumo de naranja und unzählige Tapas bestellen. Wir ignorieren sie, gehen schweigend die Straße hoch, vermeiden Blickkontakt, aber sie spricht unseren Rücken beharrlich in Russisch hinterher und scheint sich an der Melodie der eigenen Stimme und der eigenen, selten benutzten Muttersprache zu erfreuen.