Katharina Adler  und ihr Roman „Ida”

Von Ina Kuegler

Hysterische Erkrankungen“ – so formuliert es Sigmund Freud im Jahr 1905 – haben „ihre Ursachen in Intimitäten des psychosexuellen Lebens der Kranken.“ Eine dieser Kranken, die bei Freud in Behandlung war, ist weltberühmt geworden: Es war „Dora“ – ein 18jähriges Mädchen, das eigentlich Ida Bauer hieß. Ihr beziehungsweise ihrer Urgroßmutter hat die junge Münchner Schriftstellerin Katharina Adler den Roman „Ida“ gewidmet. Der Roman, ein Stück Zeitgeschichte zwischen 1890 und 1945, macht nachvollziehbar, warum Ida bzw. Dora die Behandlung bei Freud nach drei Monaten abbrach: Ida rebellierte gegen ihre Rolle auf Sigmund Freuds Couch.

70 Seiten umfasst das mit Abstand längste Roman-Kapitel mit der Überschrift „Diwan“, das Katharina Adler vor uns ausführlich ausbreitet. Erzählt wird die Krankengeschichte von Ida, von Kindesbeinen an. Sigmund Freud bohrt nach, animiert Ida, ihre Träume zu erzählen, lässt die Patientin in etliche Fallen tapsen, klärt Ida über das Prinzip der Verdrängung auf, nervt und nervt – nicht nur die Titelheldin, sondern auch den Leser. Nach 70 Seiten möchte man Ida zum Abbruch ihrer Therapie gratulieren: „Die Holztür fiel hinter ihr zu. Sie hob das Kinn. Sie, nur sie, würde ab jetzt über ihr Leben bestimmen.“

Ihre Vita und die ihrer Familie aus Wien ist erlebnis- und entbehrungsreich: Ida Bauer stammt aus der jüdischen Familie eines Textilindustriellen, ihr Bruder Otto ist von 1918 bis 1934 Vorsitzender der österreichischen Sozialdemokraten. 1904 heiratet Ida den Komponisten und Unternehmer Ernst Adler, ihr Sohn Hubert Adler reüssiert als Dirigent und wird schließlich Operndirektor der San Franzisco Opera Company. Ida flieht vor den Nazis nach Paris, kann schließlich nach New York übersetzen. Dort stirbt sie 1945 an Magenkrebs.

Soweit die Fakten – Katharina Adler hat daraus einen gut recherchierten, lesenswerten Roman voll von Nerven-, Bürger- und Weltkriegen geformt. Am eindringlichsten geraten der Münchner Autorin dabei die Kapitel über das Revolutionsgeschehen von 1918 in Wien, die Februarkämpfe 1934, Otto Bauers Flucht nach Brünn, Idas Exil (in Marseille trifft sie übrigens auf den berühmten Fluchthelfer Varian Fry) sowie die Jahre in New York, wo sie bis zu ihrem Tod in einer Lederfabrik arbeitet. Angereichert werden all diese Handlungsstränge mit eingängig und kurzweilig geschilderten Reibereien und Eifersüchteleien innerhalb der Familie Bauer-Adler – wahrhaftig, eine Familie der Zeitgeschichte.

Katharina Adler: Ida
Roman, 512 Seiten
Rowohlt Verlag Reinbek, 2018
25 Euro