Breitgefächerte Wortkunst

Wolfgang Bächler, ein fast
Vergessener aus der ersten Reihe
der Nachkriegslyriker

Von Katrin Diehl

Welche Bedeutung hat der Nachlass eines Unbekannten? Er mahnt an Aufarbeitung. Er erinnert. Er lässt Wunden Wunden bleiben. „Dass Wolfgang Bächler in die Geschichte der Nachkriegslyrik gehört, ist selbstverständlich, muß aber wohl wiederholt werden“, schrieb im April 1976 Heinrich Böll in der Süddeutschen. Er hatte dort die Besprechung von Bächlers fünftem Gedichtband „Ausbrechen“ übernommen. Es muss wiederholt werden. Daran hat sich bis heute kaum etwas verändert, nicht nach der Herausgabe von Bächlers „Gesammelten Gedichten“ von 2012, ein wenig vielleicht nach dem im Februar dieses Jahres veranstalteten „Tag für Wolfgang Bächler“, einer Münchner Initiative des Instituts für Deutsche Philologie, der Monacensia und des Lyrik Kabinetts. Sie muss einfach immer mal wieder hoch gehalten werden, Bächlers ansprechende, sprachkräftige wie breitgefächerte Wortkunst, mit der er Deutschland weit über die Nachkriegszeit hinaus begleitet hat mit Blick auf dessen Natur, auf dessen Menschen, auch auf dessen Nachbarland Frankreich. Wolfgang Bächlers Nachlass liegt in der Monacensia und hat seine ganz eigene „Story“.

Geboren wurde Wolfgang Bächler 1925 in Augsburg. Er machte sein Abitur und ging in den Krieg. Dorthin hatte er sich freiwillig gemeldet, wollte zu den Gebirgsjägern. Er wird schwer verwundet, kommt ein dreiviertel Jahr in einen Streckverband. Von den Schlafmitteln, die ihm verabreicht werden, wird er sein Leben lang nicht mehr loskommen („Als ich Soldat war, schrieb ich kein Gedicht. / Auf Schmerz und Tod gab’s nur den alten Reim. / Mir schnitt der Stahlhelmriemen ins Gesicht. / Und daß ich lebte, wußte ich das nicht?“). 1948 beginnt Bächler in München Germanistik zu studieren. Gedichte schreibt er da schon lange. Die werden jetzt abgedruckt in den großen Zeitungen des jungen Nachkriegslandes. Bächler lässt das Studieren sein und rückt auf in die literarische Szene Münchens. Hans Werner Richter lädt ihn zur ersten Tagung der Gruppe 47 ein, wo er zu den Jüngsten gehört. Aber Wolfgang Bächler ist auch krank. Er leidet an einer bipolaren Störung. Depressive Schübe machen ihm schwer zu schaffen und verstärken sich im Laufe seines Lebens. Er fühlt sich verfolgt, hat Wahnvorstellungen und immer wieder Geldsorgen („Die Wände treten auf mich zu, / schließen mich ein, betrachten mich: / Umnachtet liege ich da und entblößt. / Graugrün sind die Türen“).

Der Monacensia bietet er als Vorlass über 20 Ordner an u.a. mit Korrespondenzen, die er mit den wichtigsten Frauen und Männern der zeitgenössischen Literaturszene geführt hat. Das Material wird gesichtet, nächste Schritte werden geplant. Kurz darauf brennt es in der kleinen Wohnung in der Steinheilstraße 19. Bächler hatte seine noch glühende Zigarette auf dem Rand des Aschenbechers liegen lassen… Die Ordner werden arg in Mitleidenschaft gezogen, deren Inhalt Gott sei Dank weniger. Alles kommt in die Magazine der Stadtbibliothek im Gasteig, zu der die Monacensia ja gehört. Die angekohlten Ordner lagert man separat. Eines Tages sind sie spurlos verschwunden. Man vermutet, dass sie wegen ihres Zustands kurzerhand und versehentlich geschreddert worden sind. Bächler hat davon nie, zumindest nicht offiziell, erfahren. Das Geld für den Vorlass hat er erhalten. Nach dem Brand kommt er wieder einmal in die „Irrenanstalt“, danach zieht er in ein Appartement der Friedmannstiftung für alte Künstler direkt am Viktualienmarkt. Kollegen versuchen ihm immer wieder zu helfen, scheitern immer wieder. Die Stadt verleiht ihm den Tukan-Preis, auch den Schwabinger Kunstpreis. 2007 stirbt Wolfgang Bächler. Sein Grab befindet sich auf dem Bogenhausener Friedhof.

In den Briefen, Karten und Kärtchen des Bächler Nachlasses kann man sich verlieren. Die Nachkriegsliteraturszene ergreift in Handschrift oder per Schreibmaschine noch einmal das Wort, hat mit den politischen Umständen zu kämpfen, mit der Konkurrenz, mit dem Geld (1948 Günter Eich an Bächler: „Mit dem Geld ist es miserabel… Jetzt habe ich noch 90 Pfennig.“), ist um Vernetzung stark bemüht und schaut sich gegenseitig über die Schreiber-Schulter. Bächler bringt seine Adressaten öfter mal in Bedrängnis, stößt vor den Kopf, fühlt sich zu wenig beachtet. Joachim Kaiser nennt er einen, der „sein Fähnchen auch in alle Winde“ hängt. Ingeborg Bachmann teilt ihm wohl auf Anfrage im April 1952 auf einem unten verkohlten Kärtchen die Adresse von Paul Celan in Paris mit. Auf Böll ist Bächler ärgerlich, weil der nicht „reagiert“ („Daß Du … als Rubel- und sonstiger Millionär so hochmütig geworden bist wie Grass es zuweilen leider ist, will ich nicht recht glauben.“). Zum Büchner-Preis gratuliert er ihm 1967 trotzdem. Seinen Glückwunschbrief beendet er recht kräftig, bestimmt und endgültig: „Jetzt muss ich pissen und dann ins Bett.“

Im Zug

Oft habe ich Angst,
im falschen Zug zu sitzen.
Ich frage den Schaffner,
ob ich nicht umsteigen muss.
Er verneint das.

Ich bin unzufrieden.

Wolfgang Bächler „Gesammelte
Gedichte“, herausgegeben von Katja Bächler und Jürgen Hosemann,
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. Main 2012