Ines Frieda Försterling über die Kraft der Gedichte

Von Marie Türcke

Freitag, 36 Grad in Wien, die Hitze steigt zu Kopf.

Die Umstände ihres ersten Gedichts erinnert Ines Frieda Försterling gut: „Als Jugendliche habe ich das Gewicht der Welt plötzlich sehr stark gespürt. Aus der Schule kannte ich Gedichte und an einem Nachmittag als mich alles überfordert hat, dachte ich, ich versuche mal meine Gefühle aufs Papier zu bringen. Danach habe ich mich gleich leichter gefühlt. So entstand mit 13 mein erstes Gedicht und seitdem habe ich nicht mehr aufgehört zu schreiben.“

Das Schreiben der damals in der Gemeinde Ammerang bei München lebenden jungen Ines hatte so seinen Anfang genommen. Heute beschäftigt sich die 26-Jährige mit Gedichten, Kurzprosa und Theater. Försterling hatte sich nach einem abgeschlossenen Studium der Fotografie in London für den Studiengang Freies Schreiben in Wien beworben. Von 200 bis 300 Bewerber*innen kommen dort ungefähr 12 bis 15 rein, Försterling ist eine davon. Bald ist ihr Bachelor dort fertig, aber sie möchte noch weiter machen, gerne den Master dranhängen.

Als wir sprechen hat es in Wien 36 Grad – und das ist nichts Besonderes mehr. Während die Hitze die Gedanken zu erdrücken sucht, setzt sie trotzdem einen passenden Kontext für das Gespräch. Ein Thema das Försterling umtreibt ist die Natur, die selbstwidersprüchlich, weil unnatürlich, ist. Die Welt in der Försterlings Generation groß geworden ist, ist nicht mystisch romantische Natur. Der Mensch hat sie zerstört und pervertiert. Mystisch ist nur noch, was menschlich geschaffen oder verursacht wurde.

In ihrer Kurzgeschichte „Schnecken“, einer Zusammenarbeit mit der Fotografin Maidje Meergans und ihrer Fotoserie ,,Girlhood‘‘, begleiten wir die Protagonistin durch das vielleicht erste Drittel ihres Lebens. Der Großvater der sehr jungen Ich-Erzählerin sammelt und mästet Weinbergschnecken, um sie anschließend zu kochen. Die Protagonistin versucht die Schnecken zu retten, indem sie ihnen das Schwimmen beibringt und ihnen so die Flucht ermöglichen will. Ein Versuch, bei dem sie sich mit den Schnecken anfreundet – und eine das Schwimmen erlernt. Jahre später, nach dem Tod des Großvaters, kommt sie als junge, verlorene Frau zurück in die Heimat und geht baden. „Ich kniete mich ans Ufer und fuhr mit dem Finger über die Oberfläche. Sofort erkannte ich die Konsistenz – es war Schneckenschleim. […] Als ich aus dem Wasser stieg, war mein Körper mit einer angenehm warmen Schleimschicht bedeckt. Sie fühlte sich an wie ein Schutzfilm, der alles Negative von außen fernhielt.“ Was ist hier passiert? Hat die Natur einen Schutzraum geschaffen? Aber der Schneckenschleim kommt von der einen schwimmenden, der widernatürlichen Schnecke. Oder ist der Schneckenschleim, wie die Freundschaft, nur eine gefühlte Realität, der Wahnsinn eines Menschen Angesichts des Wahnsinns der Welt? Und wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen innerer und äußerer Realität, zumal wenn es nur eine einzige Quelle, nur eine Perspektive der Geschichte gibt? Vielleicht ist die Natur keine äußere Realität, vielleicht ist sie eine innere. Aber dann steht es womöglich nicht so sonderlich gut um unser Innenleben.

„Und was machen wir, wenn die Flut kommt?/Wenn es uns den Sand unter den Füßen wegspült/und wir dastehen wie Mäuse ohne Heim./Wer wird sich um uns kümmern, wenn wir/mit unseren kleinen Turnschuhen in den/Abgrund stolpern. Was ist eine Krise,/wenn nicht die Spaltung eines Kreises./Welche Form wird sich ergeben?“ So schreibt Försterling in einem ihrer Gedichte. Nach wie vor nutzt sie dieses Medium, um Eindrücke ihres Alltags festzuhalten und aufzuarbeiten, wie damals als junges Mädchen. Die meisten Gedichte entstehen dabei am Handy, schnell und tief, so wie das echte Leben.

In unserer Serie „Jung und schreibend“, in der wir junge Münchner Autor*innen vorstellen, porträtierten wir bisher Lisa Jeschke, Leander Steinkopf, Daniel Bayerstorfer, Katharina Adler, Benedikt Feiten, Caitlin van der Maas, Samuel Fischer-Glaser, Vladimir Kholodkov, Annika Domainko und Jan Geiger.