München feiert 50 Jahre Olympiade und sich selbst, stolz auf die demonstrative Weltoffenheit und die farbenfrohen Spiele. Dabei stellt sich durchaus die Frage, was es da überhaupt zu feiern gibt. Der palästinensische Anschlag mit am Ende elf toten israelischen Athleten und einem toten bayerischen Polizisten zerstörte jede Illusion und begrub den Wunsch auf Verdrängung. Dazu kamen dann noch ein paar weiter dunkle Flecken.

Von Michael Berwanger

Es ist wenig erstaunlich, dass man zu diesem Jubiläum fast überall in München über die „Spiele 72“ stolpert. Ausstellungen finden sich – unter anderem – in der Staatsbibliothek, im Olympiapark, in der Pinakothek der Moderne, im Kunstareal und im Münchner Stadtmuseum, die gleich zwei Ausstellungskonzepte anbieten – innerhalb des Hauses und außerhalb, in Form einer „Spurensuche“. Mehrheitlich drehen sich die Ausstellungen um den „Glam-Faktor“. Die Erinnerung an den verheerenden Terroranschlag des „Schwarzen September“, vor dem der englische Geheimdienst vergeblich gewarnt hatte, wird in Nebenräume verbannt – er stört das Bild der fröhlichen und bunten Spiele. Die Kritik an IOC-Präsident Avery Brundage, dem Hitler-Bewunderung vorgeworfen wird, und dem Deutschen NOK-Präsidenten Willi Daume, der zur NS-Zeit Informant für den Sicherheitsdienst der SS gewesen sein soll, wird mehrheitlich verschwiegen, obwohl es bei der Vergabe der Spiele 1966 in Rom genügend Mahner gegeben hatte, die bezweifelten, dass man so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Spiele guten Gewissens an die „Hauptstadt der Bewegung“ vergeben könne. Ebenso ist die Ausladung der 46 Sportler*innen aus Rhodesien zu Beginn der Spiele kaum ein Thema.

Dafür aber viel Glamour: Mode und Menschen, Architektur und Medaillen, und immer wieder Otl Aicher (neu erschienen beim Prestel Verlag der Prachtband: „Otl Aicher – Designer. Typograf. Denker“, herausgegeben von Winfried Nerdinger und Wilhelm Vossenkuhl). Sein optisches Konzept spiegelt überdeutlich das Bemühen, die zweiten Olympischen Spiele auf deutschem Boden von denen in Berlin 1936 zur Gänze abzugrenzen, auch wenn sich sie so etwas  in letzter Konsequenz nicht durchhalten lässt. Der von Aicher beauftragte Modeschöpfer, der Franzose André Courrèges, zeigte sich entsetzt, als Otl Aicher diese weiß-blauen Dirndl für die Hostessen durchsetzte und spracht von einer „Bataillon von Gretchen“.

Als große Neuerung bei Olympischen Spielen wird das „Kulturelle Begleitprogramm“ gefeiert. Hier wird in der Formulierung schon klar, welchen Stellenwert Kunst und Kultur in einem auf Kommerz ausgerichteten Großereignis hat. Das sei der eigentliche Skandal, findet der Sammlungsdirektor des Münchner Stadtmuseums, Thomas Weidner. Seit 1972 werde bei allen Olympiaden die Kultur als schmückendes Beiwerk des Sports gehandelt. Dabei sei es doch umgekehrt: Der Sport ist Teil der Kultur einer Gesellschaft.

Für die Begleitmusik der „Spiele“ sorgt Bert Kaempfert mit seiner „Olympia Fanfare 1972“– wenig erstaunlich: ein Marsch. Mauricio Kagel hingegen schlägt bei seinem Werk „Exotica“ weniger martialische Töne an. In seiner Auftragsarbeit für 1972 stellt er mit 200 außereuropäischen Instrumenten die vorherrschende Machtstellung des Westens in Frage. Für die Uraufführung werden ein Großteil der Instrumente vom Stadtmuseum zur Verfügung gestellt – aus heutiger Sicht ein erstaunlicher Vorgang.

Die vom Architekten Werner Ruhnau konzipierte „Spielstraße“ am Olympiasee spricht mit ihrer demokratisch-partizipativen Form ein großes Publikum an. Die Beiträge vor Ort umfassen dabei verschiedene künstlerische Medien, vom darstellenden Spiel über Videoarbeiten bis hin zu Objekten und Performances aus dem Bereich der Bildenden Kunst.

Der Literatur kommt, wie so oft bei solchen Großereignissen, die Rolle der Beobachterin zu. So erscheinen direkt nach den Spielen und zu allen Jahrestagen eine Flut an Kompendien, die die sportlichen und gesellschaftlichen Ereignisse bündeln und in historischen Kontext stellen sollen. Die kritische Aufarbeitung der Historiker Kay Schiller und Christopher Young von 2012 kann sicher als das herausragendste Werk gelten. Neu erschienene Sachbücher – wie z. B. „München 72“ von Markus Brauckmann und Gregor Schöllgen – können hier leider wenig neue Erkenntnisse hinzufügen.

Erstaunlicherweise sind dieses Jahr gleich drei neue Romane erschienen, die die Spiele von 72 zum Thema haben: Die bei München geborene Ulrike Draesner hat in ihrem Roman „Spiele“ eine tragische Liebesgeschichte mit den Terroranschlägen verknüpft. Stephanie Schuster, Bestseller-Vielschreiberin aus Starnberg, benutzt die Olympischen Spiele im dritten Teil ihrer Trilogie „Die Wunderfrauen“ lediglich als Hintergrund für ihre vier Protagonistinnen, die den Figuren der ZDF-Fernsehserie „Ku’damm 56“ stark ähneln– behauptet jedenfalls die Rezensentin der ZEIT, Ursula März. Die Niedersächsin Petra Mattfeldt hingegen setzt eine fiktive DDR-Sportlerin direkt in das Geschehen um das Attentat und schafft dadurch einen realistischen Einblick in die Ereignisse von 72. Mit großer Spannung erzählt sie aus fünf unterschiedlichen Perspektiven und lässt dabei auch einen empathischen Blick auf die Attentäter zu, , auch wenn es kaum möglich ist, Mitgefühl für sie zu haben.