Michael Krüger erinnert sich an die kluge Essayistin, die es großartig verstand, Intellektualität zu inszenieren. In diesem Jahr wäre sie 90 Jahre alt geworden.

Von Katrin Diehl

Sagen wir es einmal so: Wer etwas über Susan Sontag wissen will, ist bei Michael Krüger ganz sicher nicht an der falschen Adresse. Hier in München über Jahrzehnte lang Verlagsleiter von Hanser war er ihre Anlaufstelle in Deutschland, war ihr Verleger in Germany. Und wenn man jemandes Verleger ist, ist man ja immer viel mehr als jemandes Verleger. Man kriegt dann Einblicke, lernt den Autor, die Autorin jenseits der Texte kennen, versteht, wie das Gegenüber tickt, bekommt – wie im Falle von Susan Sontag – viel Zigarettenrauch vors Gesicht geblasen und weiß das zu nehmen. „Wir waren eigentlich ziemlich schnell befreundet“, erinnert sich Michael Krüger, was zum einen daran gelegen habe, so berichtet er weiter, dass Sontag sein echtes Interesse an ihren Essays und was in denen verhandelt wurde, gespürt habe. Zudem habe er ihr recht dienlich sein können, in ihrem „unbändigen Hunger nach Wissen, was sich gerade im intellektuellen Europa, im intellektuellen Deutschland so tat“. „Und so war es bei unseren Treffen immer erst einmal sie, die mich ausgequetscht hat“, sagt Krüger und lässt seine Begegnungen mit der Autorin – in München, Berlin, New York … oder anderswo – Revue passieren: „,Was macht Fassbinder eigentlich gerade, was Kluge, was passiert gerade in Deutschland, in Europa …?‘, wollte sie wissen. Und da fielen dann natürlich auch Namen, die in Amerika nur sehr wenige Menschen kannten. Und Susan schrieb das alles mit, notierte das alles in ihr Notizbuch, das sie immer bei sich trug, und damit konnte sie dann brillieren in ihren New Yorker Kreisen und auch bei den Leuten ihres Verlagshauses ,Farrar, Straus and Giroux‘, vor allem beim dortigen, sie sehr verehrenden Roger Straus, der ihre seismischen Fähigkeiten kannte, schätzte und zu nutzen wusste. Und so fanden dann also einige der Autoren aus ihrem Notizbuch ihren Weg zum amerikanischen Publikum.“

Sontag nahm sich dann oft auch selbst dieser europäischen Schriftsteller und Intellektuellen an, schrieb Porträts über Walter Benjamin, Elias Canetti, W. G. Sebald, Robert Walser, Roland Barthes …, großartige, eigenwillige, sehr kluge Texte, die ihre Wirkung nicht verfehlten. „Sie brachte europäische Kultur nach Amerika“, sagt Krüger. Generell waren es ihre Essays – „Anmerkungen zu Camp“, „Kunst und Antikunst“, „Krankheit als Metapher“, „Gegen Interpretation“ … – und nicht die Romane oder Theaterstücke, die wirklich catchten, die ihre herausragende Fähigkeit, scharfsinnig und Zukünftiges vorausahnend zu analysieren, demonstrierten. Dem standen Eigenschaften gegenüber, die es nicht jedem ganz leicht machten, sie zu mögen. Denn offensichtlich konnte man es sich mit der überehrgeizigen Einzelgängerin auch schnell verscherzen, wenn man es wagte, Einspruch zu erheben, Desinteresse zeigte (zum Beispiel am von ihr genüsslich vorgetragenen neuesten NY-Gossip), etwas in Frage stellte oder ihren sehr coolen Auftritten zu wenig Beachtung schenkte. „Manche waren von ihr auch schon ziemlich genervt“, sagt Michael Krüger. „Es gab Autoren, die ihr aus dem Weg gingen, weil sie ihre Besserwisserei nicht ertragen konnten. Hans Magnus Enzensberger zum Beispiel hatte immer ,gerade etwas anderes vor‘, wenn ich ihn fragte, ob wir zusammen mit Susan essen gehen wollten.“

In diesem Jahr wäre Susan Sontag 90 Jahre alt geworden. 2004 ist sie gestorben, der Krebs hatte nicht von ihr lassen wollen, „und dass es dann doch so schnell gegangen ist, das hat sie wohl selbst nicht kommen sehen“. „Sie hatte noch offene Verträge bei mir im Verlag hinterlassen“, berichtet Michael Krüger, „die sie jetzt also nicht mehr erfüllen konnte …, zum Beispiel war ein Buch von ihr über Japan angedacht, das sie sehr gerne hätte schreiben wollen, in dem sie, nicht zuletzt angeregt durch Roland Barthes, die japanischen Schriftzeichen deuten wollte, Zeichen einer Sprache also, die sie selbst nicht verstand; wir wollten auch noch einen Band machen mit Interviews mit ihr, von denen es ja einige sehr gute gab, die noch nicht in verschriftlichter Form vorlagen …“

Beerdigt wurde Susan Sontag auf dem Friedhof Montparnasse in Paris, „und es war eine sehr schöne Beerdigung“, erinnert sich Michael Krüger, „weil es wie aus Kübeln goss“. Nicht eben viele seien da gewesen und alle irgendwie „komisch eingepackt oder tief unterm Schirm“. Die große Isabelle Huppert habe etwas von Baudelaire vorgelesen, „und das ist ja wirklich eine Schauspielerin, die mit allen Wassern gewaschen ist, aber dieser Regen …“. Alles besonders und vieles ein Genuss bis zum Schluss.