Mercedes Lauenstein spürt in ihren Miniaturen einer unbekannten Krankheit nach – und schenkt uns trotz aller Rätsel und Ängste ein wenig Zuversicht.

Von Markus Czeslik

Miros Körper ist ein einziges unlösbares Rätsel, für ihn, seine Freundin, erst recht für die Mediziner. Mercedes Lauenstein zeigt uns, wie die unbegreifbare Krankheit den Alltag des Paares auf den Kopf stellt – und das ziemlich schonungslos.

Dabei handelt es sich um eine Ansammlung von feinen Miniaturen, in denen die Icherzählerin ihre Umwelt mal staunend und ratlos, mal verständnisvoll und empathisch beobachtet. Das Erforschen der Umwelt ist für sie existenziell: Es sind die kleinen Dinge, an denen sie sich festhält, wenn das große Bild zu zersplittern droht. Ihre verstreuten Gedanken notiert sie, um nicht verrückt zu werden. Sie nennt es ein „Placebo gegen die Vergänglichkeit und das Chaos der Dinge“.

Die skizzenhafte Prosa spiegelt ein Leben wider, das in kleinste Puzzleteile zu zerfallen droht. Bei Miro sind es die vielen unterschiedlichen Symptome, bei seiner Frau eine bruchstückhafte Außenwelt, die Rätsel aufwirft. Beharrlich versucht sie, ihren Blick zu weiten und sich die Welt durch Beobachtung anzueignen. „Man kann mit den Augen leben. Auch darin wurzelt das Unglück des Menschen. Dass er das reine Beobachten zu geringschätzt.“

Das Paar kapselt sich mit eigenen Ritualen und Sprachcodes gegen die Welt ab, wie Taucher, die nur über Handzeichen kommunizieren und sich auf das Überlebenswichtige konzentrieren. Miro formuliert immer neue Bilder für eine Krankheit, die keinen Namen hat. Das Einordnen hilft ihm bei der Bewältigung. So wie sich die Icherzählerin Strukturen schafft, die im Außen nicht existieren. Im verzweifelten Versuch, Halt zu finden und einander Halt zu geben, die Krankheit gemeinsam zu er-tragen, schwankt das Paar zwischen Ohnmacht und Akzeptanz, Trost und Selbstmitleid – oder flüchtet in Galgenhumor. Auch das verbindet.

Wenn mal die Wut aus ihm oder ihr herausbricht, dann mit einer erschütternden Heftigkeit, die sie sofort bereuen: „Wie viel Erfahrung es braucht, nicht in einen Streit über die falschen Dinge auszubrechen, sondern die Wut zu ihrem Ursprung zurückzuführen: der Hilflosigkeit.“

Angesichts der beschriebenen Anfälligkeit des Individuums und seiner Beziehungen wiegt die Geschichte einerseits sehr schwer. Denn auch der zweite Erzählstrang, in dem sich die Frau einer Forschungsarbeit widmet, mündet in eine Metapher für das Dunkle und Gefährliche: das Moor als „Ort der Angst“, als Symbol für das Geheimnisvolle.

Auf der anderen Seite lässt die studierte Ethnologin Mercedes Lauenstein ihr Paar niemals im Moor versinken. Immer wieder streut sie Szenen ein, die ein Lächeln und Zuversicht hervorrufen. Einfühlsam beschreibt sie, wie die Zweisamkeit Kraft spendet und selbst kleine Fortschritte es wert sind, gefeiert zu werden. Das Paar ergibt sich nicht in Resignation, sondern bewegt sich in der Erforschung des Rätsels schrittweise vorwärts, wenn auch auf unsicherem Terrain.

Lauenstein zeichnet das vielschichtige, kluge Porträt einer Gesellschaft, die zunehmend vereinzelt. Dieses Paar hat die Verbindung zur Umwelt gekappt, weil auf beiden Seiten das Verständnis fehlt. Wo keine Teilhabe möglich ist oder die Kraft zur Mitgestaltung fehlt, bleibt nur die Flucht ins Nonverbale: zuschauen und winken. Selbst diese Option hat etwas Tröstliches.

Mercedes Lauenstein:
Zuschauen und Winken
Roman, Hardcover, 192 Seiten
Blumenbar, Berlin 2025
22 Euro