Literarische Denkmäler – wie in München Dichter gewürdigt werden

Von Stefanie Bürgers

Dunkel, laut, schlechte Luft, zäh fließender Verkehr, flatternde und ab und an auch tote Tauben. Es wird kaum einen Münchner geben, der sie mit Literatur in Verbindung bringt, die Paul-Heyse-Unterführung. Die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wird davon überzeugt sein, dass Paul Heyse ein berühmter und verdienter Ingenieur war. Weit gefehlt. Ein Schriftsteller war er, Nobelpreisträger. Seit Mai 1854 in München, förderte er durch seine kritischen Essays bekannte, doch noch wenig geschätzte Literaten wie Storm, Mörike, Hebbel, Grillparzer oder Turgenjew. 1910 wurde er als erster deutscher Dichter für sein Lebenswerk als Lyriker, Dramatiker, Romanschriftsteller und Novellen-Dichter mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt. Seine Villa in der Luisenstraße in der Nähe des Lenbachhauses entging 2016 dem Abbruch.

Eine Messing-Gedenktafel in ca. 2,50 m Höhe am Haus Ainmillerstraße 19 erinnert an Eduard Graf von Keyserling aus Kurland (Baltikum), der seine zweite Heimat in München gefunden und dort in der Ainmillerstraße gelebt hat. Würde die Tafel nicht so hoch hängen, würde man sie leicht mit einem Kanzleischild oder dem Hinweis auf eine Arztpraxis verwechseln können. Ab der Oktober-Ausgabe der LiteraturSeiten möchten wir mit einer neuen Reihe den Blick und Schritt unserer Leser auf viele, oft versteckte, leise „Denkmäler“ lenken.

Meist eilt der Mensch gesenkten Blicks an Straßenschildern, Gedenktafeln und sogar Denkmälern vorbei. Kein Gedanke daran und auch kein Auge dafür. Aber nicht immer! Unter einem Ahornbaum zwischen Metzgerimbiss und Apotheke schlendert er die Rosenstraße in Richtung Süden. Leger, die linke Hand lässig in der Hosentasche, in der rechten seine Zeitung. Die Windjacke bis zum Bauch geöffnet. Sigi Sommer, bei der Arbeit. Eine lebensgroße Bronzefigur auf rechteckiger Metallplatte. Journalist und Schriftsteller. Wem ist er noch ein Begriff? Wer kennt ihn noch, seinen Blasius,
Platzhalter seiner soziologischen Betrachtungen zu dieser Stadt, die damals noch keine Großstadt war. Die Vor-Ort-Recherche ergibt: lange 15 Minuten tut sich nichts. Recht einsam ist er, der `Sigi` in diesem Getriebe der eilig Einkaufenden. Da klopft ihm plötzlich eine ältere Dame kameradschaftlich auf die Schulter. Sie erklärt mir: „Ja freilich weiß ich, wer das ist. Den Sigi Sommer hamma scho als Kinder kennt`. Der war immer im Sommer im Maria Einsiedel Bad ganz hinten. Mit`m Ballspiel hamma`n g´stört.“ Ihre Freundin beteuert. „Ich berühre ihn nie, aber ich schau ihn immer ganz fest an, wenn ich vorbeikomm´.“

Also feste Freunde und Verehrer muss man schon haben, will man als Denkmal wahrgenommen werden. So viel Hinwendung wird Franz von Kobell nicht zu Teil, obwohl er eine sehr beliebte Erzählung „Der Brandner Kasper und das ewig´ Leben“ verfasst hat, die von seinem Ururgroßneffen Kurt Wilhelm 1975 in eine Bühnenfassung gebracht wurde. Vielleicht liegt es daran, dass sein Denkmal nicht leicht zu finden ist. Zwischen dem Biergarten des Hofbräukellers am Wiener Platz und der Isar liegen die Maximiliansanlagen. Dort steht seine Büste in Hör- und Sichtweite zum Biergarten auf einem hohen Marmorpodest und wartet auf Besuch. Müde und ernst sieht er aus. Der Eindruck passt gar nicht zu der Belustigung, die seine berühmte Erzählung auslöst. Darin versucht der Brandner Kasper sehr erfolgreich dem sehr menschelnden Tod mit Hilfe einer Mixtur aus Bauernschläue und Obstler noch ein paar Lebensjahre abzuluchsen.

Auf der Suche nach Franz von Kobell kann man übrigens leicht auf Irrwege geraten. Auf so manchem Hinweis im Internet ist der Standort seines Denkmals neben dem Spielplatz Ecke Schkell-, Grütznerstraße vermerkt. Das stört nicht weiter, gerät die Suche doch auf diese Weise zur bereichernden Entdeckungsreise durch die Heimatstadt, die man vermeintlich zu kennen glaubt. Stattdessen stößt man zwischen Landtag und Friedensengel auf ein Denkmal von König Ludwig II. Es steht an dem von ihm ursprünglich favorisierten Standort für ein Wagnerfestspielhaus.

Die Bandbreite ist groß. „Die Entstehungsgeschichte der verschiedenen Erinnerungsorte und Denkmäler auch im Bereich Literatur sind ebenso vielfältig, wie die Personen und Ereignisse derer gedacht wird,“ so Jennifer Becker, Pressesprecherin des Kulturreferats der Stadt München. Eines könne man zusammenfassend sagen, so Becker weiter, „letztlich ist immer eine stadtweite oder darüber hinausgehende Bedeutung des Themas Voraussetzung. Auf dieser Basis entscheidet der Stadtrat, ob z.B. ein Kunstwerk oder eine andere Form des Erinnerns im öffentlichen Raum angemessen und erwünscht ist.“ Im Anschluss folgt ein Kunst- oder Gestaltungswettbewerb. Einfacher ist der Weg zur Gedenktafel an der Hauswand. Die Arbeitsgruppe „Gedenktafel“ u.a. bestehend aus Stadtratsmitgliedern aller Fraktionen prüft Vorschläge, auch von Bürgern oder den Bezirksausschüssen.

„Die Form des Gedenkens und Erinnerns ist ein Spiegel der Zeit“, so Becker, „zeitgemäße Formen des Erinnerns werden gesucht“. So setzt die Stadt seit über zehn Jahren auf Kultur- und Themengeschichtspfade: Rundgänge entlang historisch bedeutsamer Orte und Ereignisse zu Bauwerken, Plätzen, Wohnungen und Wirkungsstätten bedeutsamer Personen und an Orte, an denen für das jeweilige Thema wichtige Ereignisse stattfanden. Die Publikationen zu den Pfaden helfen, Personen und Ereignisse stadtgeschichtlich einzuordnen und ihre Bedeutung zu erfassen. Also Abschied von Reiterstandbild, Marmorbüste und Gedenktafel.

Aktuell in Planung ist ein Gedenkort zur Familie Mann. Der Vielfalt dieser unangepassten und an vielen verschiedenen Orten tätigen Künstlerfamilie kann man mit einer konventionell klassischen Denkmalform nicht gerecht werden. Es kann also mit Spannung erwartet werden, was hier wo entsteht.

Ein zweiter Erinnerungsort in Zusammenhang mit Literatur soll am Königsplatz entstehen, an der Stelle, an der die Nationalsozialisten durch den Akt der Bücherverbrennung Schriftsteller gedemütigt und der Verachtung Preis gegeben haben. Ein Ort des Gedenkens, der den vielen betroffenen Schriftstellern Raum und Ehrerbietung schaffen soll. Das nahe NS-Dokumentationszentrum beherbergt bereits eine „Bibliothek der verbrannten Bücher“ als Dauerleihgabe.

PS: Literatur zu „literarischen Denkmälern in München“ gibt es nicht gezielt unter diesem Sammelbegriff. In der Bibliothek der Monacensia findet sich aber Folgendes: „Literarisches München“, Dichter, Literaten und Philosophen. Wohnorte, Wirken u. Werke von Edda und Michael Neumann-Adrian aus dem Verlag Jena 1800. „München in Erz und Stein“ von August Alckens 1973 Pinsker Verlag, ein Auflistung von Denkmälern der Stadt. Empfehlenswert sind die unterschiedlichen Stadtteilführer, die oftmals die dort ansässigen oder schaffenden Schriftsteller behandeln.