Leander Steinkopf

Von Ursula Sautmann

Drei Tage lang schlendert der Protagonist durch Berlin – ziellos, einsam, wachsam und allzeit bereit zum gnadenlosen Urteil. Unterwegs macht er immer nur kurz Halt. Der Ich-Erzähler in „Stadt der Feen und Wünsche“ (Hanser Berlin), ein junger Mann, konfrontiert die Menschen (und die Leser*innen) mit seiner Bitterkeit, seiner Überheblichkeit und seiner Empfindsamkeit. „Die Radfahrer verpesten die Umwelt mit ihrer Vorbildlichkeit“, mosert es der Leserin entgegen. Aber da klingt auch viel Sehnsucht an im Debüt von Leander Steinkopf. Und Komik. Es ist mitunter amüsant und durchaus spannend, dem Protagonisten durch die Stadt zu folgen, seinen Blick auf die Welt zu teilen und zu verwerfen, Krieg zu spielen und Frieden zu schließen mit der eigenen Mittelmäßigkeit und den Zumutungen der anderen. Man wartet auf Erlösung – für den Protagonisten, oder gar für sich selbst? Die Sprache ist einfallsreich und pointiert, die Sprachbilder sitzen meist perfekt, die Auswahl der Momentaufnahmen ist stimmig. Wer sich dem kurzen Text hingibt, lacht herzlich oder fühlt sich provoziert.

Leander Steinkopf war jüngst für den Bachmann-Preis nominiert. Es könnte derselbe junge Mann gewesen sein, der sich dort als Ich-Erzähler in „Ein Fest am See“ präsentierte. Der Protagonist findet sich wieder auf der Hochzeit einer verflossenen Liebe. Selbstgefällig und in Selbstmitleid badend kommentiert er die Spießigkeit der Verflossenen. Das Ende überrascht.

Der Autor, geboren 1985, war selber reichlich unterwegs, an unterschiedlichen Orten und in verschiedenen Genres. Gerade ist er zurück aus Krakau, wo er im Rahmen eines Albrecht-Lempp-Stipendiums einen Monat verbrachte. Studium und akademische Anstellungen führten ihn nach Mannheim, Berlin und Sarajevo, es folgten Residenzaufenthalte in Sofia, Bulgarien, und Novo Mesto in Slowenien. Zurzeit lebt er im Münchner Stadtteil Giesing. Die Liste seiner Veröffentlichungen ist beeindruckend. Er promovierte als Evolutionspsychologe über den Placebo-Effekt und veröffentlichte zwei Sachbücher: „Die andere Hälfte der Heilung“ (Mosaik Verlag) und „Was der Schulmedizin fehlt“ (Goldmann). Er schrieb fürs Feuilleton von FAZ und FAS, für die Neue Zürcher Zeitung und für Magazine wie „Literarische Welt“ und „Merkur“. Und er lieferte drei Komödien für das Theater (Mosaik-Verlag) ab. Diese Vielgleisigkeit soll sich nun ein wenig lichten. Steinkopf will die Welt der Wissenschaft und das Theater aufgeben und sich in Zukunft der Prosa widmen.

Aus Krakau hat er denn auch eine neue Erzählung mitgebracht. Es sei „schon eine Liebesgeschichte …“, mehr will er nicht verraten. Er mag die kurzen Lesestücke, langweilt sich bei langen Romanen allzu bald und legt sie weg. Gern gelesen hat er „Natürlicher Roman“ von Georgi Gospodinov und „Frühlingserwachen“ von Isabell Lehn. Filme will er sich nicht mehr anschauen, Musik nur noch selten hören. Sein Interesse an gesellschaftspolitischen Fragen beweisen seine Anthologien. Nach „Kein schöner Land. Angriff der Acht auf die Gegenwart“ (2019, C. H. Beck) erscheint im November die Anthologie „Neue Schule – Prosa für die nächste Generation“ (Claassen Verlag). Junge Menschen, da ist Steinkopf sich sicher, lesen und diskutieren begeistert, wenn sie sich mit den richtigen Geschichten auseinandersetzen können. Erfahren hat er das, als er im Rahmen der Nominierung für den Kranichsteiner Literaturförderpreis in einer Schule in Darmstadt „Die Geschichte meines Autos“ vortrug. Die Schüler*innen waren begeistert. Das war der Anstoß für eine Sammlung von Erzählungen verschiedener Autoren über Mobbing, sexuelle Gewalt, den übermächtigen Vater, die Einsamkeit zu Beginn des Studiums – Themen, die junge Menschen betreffen.

Mit dem Berliner Schlendrian dürfte Leander Steinkopf abgeschlossen haben, München eignet sich da nicht. Mal sehen, was ihm zu unserer Stadt einfällt.

In unserer Serie „Jung und schreibend“, in der wir junge Münchner Autor*innen vorstellen, porträtierten wir als erste die Lyrikerin Lisa Jeschke.