Von Stefanie Bürgers

Wer ein Buch liest, hat es zweifellos immer mit so etwas wie Literatur zu tun. Verlässt man die Bindung von Literatur ans Medium Buch, wird es spannend.

Literatur „jenseits aller Gattungsgrenzen“ präsentiert die Monacensia bei ihrem dreitägigen Festival „atelier monaco“. Das Angebot ist vielfältig, die Liste der Münchner Lyriker*, Schriftsteller*, Theatertexter*, Musiker* und Künstler*innen ist lang. Hier ein paar Kostproben.

„Poetry to go“ bietet Sabine Magnet. Sie sitzt erhöht auf der Terrasse des Café Mon hinter einem kleinen Tischchen, das gerade so Platz für ihre klappernde Schreibmaschine bietet. Nachdenklich hebt sie den Blick und der Anschlag verstummt kurz, bis sie den Faden weiterspinnt. Eine kleine Warteschlange hat sich gebildet und so manches Liebesgedicht wird in Auftrag gegeben.

Im Garten an der Westseite der Monacensia lauscht unterdessen das Publikum in bequemen Klappliegestühlen Theatertexten, die zwar die Bühne bekommen, für die sie geschrieben sind, aber ohne die theatralische Darstellung vor Bühnenbild. Nur ein Tisch und zwei Stühle stehen da. Einzig die sich nach einem Regentag nun doch zeigende Sonne sorgt für einen ungeplanten Effekt.  Wenn die im Dialog befindlichen Vortragenden sich öfter versprechen, meint man, den Beginn der Probenarbeit im Theater zu erleben. Sind Rede und Gegenrede dagegen artikuliert und dynamisch,  entsteht eine Spannung, die die Fantasie belebt und  die fehlende Inszenierung vergessen lässt. Zwei Ehepaare, eines scheidungswillig, eines kurz davor, geraten in einen unverblümten und oft unfreiwillig komischen Schlagabtausch über ihre jeweilige Lage (Caitlin van der Maas: „Mitten in der Nacht“).

Ganz ohne eine Inszenierung kommt dagegen das freie Erzählen nicht aus, dem sich „Storybox München“ mit dem „Stories&Arts Event“ verschrieben hat. Veranstaltungsort ist die „Freiheizhalle“, ein Industrieziegelbau, der neben der Donnersbergerbrücke hinter glatten Glasfassaden von Büros versteckt liegt. Eine überschaubare Menge an Zuhörenden lauscht Geschichten aus mündlichen Traditionen verschiedenster Länder, die erzählt, gesungen oder gespielt werden. Der lange Weg  von Mund zu Mund verändert die Aussage einer Geschichte nicht. Die unterschiedlichen ErzählerInnen und Erzählweisen aber geben Geschichten Heimat und beflügeln die Vorstellungskraft, so wie bei Jörg Baeseke von „Die kleinste Bühne der Welt“. Er hat auf dem Fahrradlenker ein kleines Theater  sitzen. In lockerem Abstand stehen die Zuhörer*innen erwartungsvoll um ihn herum. Ein leeres Blatt, ein Stift und schon beginnt die „drawing story“. Parallel wird erzählt und gezeichnet. Ein Mann wacht nachts von einem Geräusch auf und geht der Sache nach. Am Ende hat das mühsame Tun des Mannes Gestalt angenommen. Ein Storch ist aufs Papier gebracht. Tanja Blixen hat die Geschichte als Kind gehört und nie mehr vergessen: „Was werden die anderen Menschen sehen, wenn die Zeichnung meines Lebens fertig ist?“, fragt sie sich.

Szenenwechsel bei „Storybox“. Theaterbestuhlung, Blick zur Bühne. Tormenta Jobarte, weißer Geschichtenerzähler in  gambischer Tradition, ein sogenannter Griot, untermalt mit seiner Harfenlaute die lebhafte Erzählung vom Königsdiener Aiobaba, der durch eine verblüffende List unglücklich gemacht wird. Nicht nur das Gewand Jobartes, eine Art Toga in leuchtend bunten Farben, sondern auch der aufgeregte, oft im Stakkato eruptiv vorgetragene Sprechgesang, mal auf Deutsch, mal im westafrikanischen Idiom, versetzen einen flugs auf einen Marktplatz in Afrika.

Literatur gibt es bei „Storybox“ aber noch in einer weiteren Spielart, nämlich als „Konserve“. Wirft man einen Euro in eine Art riesigen Kaugummiautomaten, plumpst eine kleine Wunder-Worte-Dose heraus. Darin ein Gute-Nacht-Spruch, verbunden mit der Einladung, in der Recyclingdose weitere Gute-Nacht-Sprüche an „Storybox München“ zu senden.

Momo Heiß hat gemeinsam mit Katharina Müller von der Atelier Werkstatt MachWerk das Konzept „Storybox“ entwickelt, um das freie Erzählen von Geschichten mit anderen Künsten zu verbinden. „Der Auftakt des Stories&Arts Events war trotz Corona und Sperrung der S-Bahn-Stammstrecke gelungen, wenn auch nicht so gut besucht wie erhofft,“, so Heiß.

Eine weitere witzige und unkonventionelle Art Literatur zu vermitteln, bietet  „Sommers Weltliteratur to go“. Per Videoclip liefert es Kurzfassungen von literarischen Inhalten. Sei es zur Vorbereitung für den Theaterbesuch, sei es für eine bevorstehende Prüfung. Klickt man das gewünschte Drama oder den Roman an, wird einem beispielsweise Maria Stuart im Eildurchlauf und vor wechselnder Postkartenkulisse von agierenden Playmobilfiguren auf erfrischend flapsige Art dargeboten. „Schiller in 12 Minuten“, heißt es da. Auf das Projekt von Michael Sommer, Autor, Dramaturg und Literaturwissenschaftler, springen nun auch Verlage auf. Literatur grenzenlos.