Von Markus Czeslik

Das kleine Slowenien kommt im Oktober groß raus. Mit rund 70 Autor*innen präsentiert sich das Land als Ehrengast der diesjährigen 75. Frankfurter Buchmesse. Und rückt damit viele Namen ins Licht, die hierzulande eher den Kennern geläufig sind.

Wo also anfangen, wenn wir uns der slowenischen Literatur nähern wollen? Vielleicht mit einem kurzen historischen Streifzug: Die ältesten Zeugnisse der slowenischen Sprache finden sich unweit von München: Die sog. Freisinger Denkmäler (slowenisch Brižinski spomeniki), zwischen 972 und 1039 auf Pergament verfasst, bezeichnen drei kirchliche Texte mit Beichtformeln. Sie dienten dem damaligen Bischof Abraham von Freising als Missionshandbuch.

Wer in der slowenischen Vergangenheit nach großen Namen sucht, landet einige Jahrhunderte später automatisch bei France Prešeren (1800-1849), dem großen Romantiker und bis heute bedeutendsten slowenischen Dichter. Er veredelte die slowenische Lyrik in seiner anspruchsvollsten Kunstform, im Sonettenkranz (sonetni venec). Prešeren verfasste zudem historische Epen und auch in deutscher Sprache Liebes- und Naturgedichte. Die siebte Strophe aus seinem Gedicht „Zdravljica“ (zu deutsch: Trinkspruch) wurde zur Nationalhymne. Das slowenische Kulturministerium ehrt seit 1947 jährlich ein oder zwei Künstler mit dem Großen Prešeren-Preis, weitere Literaten werden von der Prešeren-Stiftung ausgezeichnet. Und aus noch einem anderen Grund ist Prešeren heute überall im Land präsent: Sein Bildnis ziert die Rückseite der slowenischen 2-Euro-Münze.

In die Moderne geführt hat die slowenische Literatur dann Anfang des 20. Jahrhunderts Ivan Cankar (1876-1918), der erste Slowene, dessen 30-bändiges Gesamtwerk auch über die Landesgrenzen hinaus sichtbar war. Er richtete den Blick auf die sozialen Missstände in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Seine bekannteste Erzählung „Der Knecht Jernej und sein Recht“ von 1907 kreist um das Verhältnis von Arbeit und Eigentum und wurde weltweit in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Und heute? Slowenien glänzt mit einem beeindruckenden Output an Literatur. Mit rund 6.000 Büchern pro Jahr liegt das Land bei der Anzahl der Veröffentlichungen pro eine Million EinwohnerInnen weltweit auf Platz 2. Darunter haben nicht nur Romane, sondern vor allem auch Lyrik und Erzählungen einen erheblichen Anteil. Wer heute eine Buchhandlung oder Bücherei in Slowenien besucht, wird überrascht sein, wie viele Regale mit Gedichtbänden gefüllt sind.

Kultur im Allgemeinen genießt einen sehr hohen Stellenwert in diesem Land. In TV und Radio haben sich Literaturprogramme erfolgreich etabliert. Über das Land verteilt – und eben nicht nur in den Städten – erstreckt sich ein dichtes Netz an Bibliotheken und Büchereien. Für die enorme literarische Auswahl im Land mit der „dichtesten Dichte an Dichtern“ (so Buchmesse-Kurator Matthias Göritz) sorgen 1.400 VerlegerInnen, darunter sehr viele Kleinverlage mit nur wenigen Buchveröffentlichungen pro Jahr.

Das starke kulturelle Engagement dient auch dazu, sich seiner eigenen nationalen Identität zu vergewissern. Folgerichtig finden sich in der Schriftsprache kaum Anglizismen, auch der Einfluss von Germanismen hält sich in Grenzen. Die Bewahrung der eigenen Sprache geht in Slowenien aber nicht mit übertriebenem Nationalstolz einher, sondern mit einem gesunden Selbstbewusstsein.

Das zeichnet auch den slowenischen Kulturverein in München aus, der die landestypischen Traditionen hochhält, Mai- und Faschingsfeiern ausrichtet und Tanzaufführungen im Programm hat. Daniela Zver ist in München geboren und seit der Vereinsgründung im Jahr 1992 aktiv. Vor ein paar Jahren hat sie den Vorsitz übernommen: „Uns ist die Idee der Gemeinschaft sehr wichtig“, sagt sie. Daniela Zvers Eltern siedelten in den 70er-Jahren nach Deutschland über.

Vom Klang und der Präzision der slowenischen Sprache schwärmt Felix Mayer. Das Vorstandsmitglied des Münchner Übersetzer-Forums e.V. kennt sich bestens in der slowenischen Literaturszene aus und hat mit seinem Übersetzerkollegen Jernej Biščak das neue Werk von Gašper Kralj übersetzt. „Splitter eines Lebens“ ist soeben im Mitteldeutschen Verlag erschienen und erhielt im Jahr 2021 den renommierten Cankar-Preis. Mit dem postmodern erzählten „Roman über die Fragmente der Wirklichkeit“ hebt sich der Autor von den verbreiteten Narrativen der slowenischen Literatur ab.

Der Zweite Weltkrieg und der Widerstand durch die slowenischen Partisanen sind noch immer im Bewusstsein verankert – wie auch der neue bei Hanser veröffentlichte Roman von Drago Jančar („Als die Welt entstand“) verdeutlicht. In der Diskussion über zeitgenössische slowenische Literatur fällt sein Name wohl am häufigsten – neben Boris Pahor, Aleš Šteger, Goran Vojnović, Florjan Lipuš oder Mojca Kumerdej. Dazu kommt das Thema Binnenmigration als Folge des Bürgerkriegs.

Aktuell rückt der Klimawandel stärker in den Fokus. Das Literaturhaus München hat am 16. Oktober Nataša Kramberger eingeladen, die in ihren Romanen „Verfluchte Misteln“ und „Mauerpfeffer“ (beide Verbrecher Verlag) das Verhältnis von Mensch und Natur beleuchtet.

Auch im Rahmen des Festivals „Dachau liest“ wird eine starke weibliche Stimme aus Slowenien zu hören sein: Ana Marwan, Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin von 2022, stellt dort am 4. Oktober ihren fragmentarischen Coming-of-Age-Roman „Verpuppt“ (Otto Müller Verlag) vor.

Apropos Coming of Age: Ein wenn auch nur kurzer Überblick über die slowenische Literaturszene wäre nicht vollständig ohne den Blick auf die Kinder- und Jugendbuchliteratur, die sich nach Ansicht von Felix Mayer durch besondere Qualität auszeichnet: „Gerade die Illustratoren spielen schon fast in einer eigenen Liga.“ In der Blutenburg können sich Münchner und Münchnerinnen davon selbst ein Bild machen.

Informationen zum Thema:

Frankfurter Buchmesse:
www.buchmesse.de

Slowenischer Kulturverein Lipa München:
www.skdlipa.de

Münchner Übersetzer-Forum e.V.:
muef.de

Literaturfestival Dachau liest:
www.dachau.de/dachau-liest

Internationale Jugendbibliothek:
www.ijb.de