Von Sevda Cakir

Andrej Murašovs Debütroman „Alles Gold“ entpuppt sich als ein Geschenk. Der Hip-Hop-Scholar erzählt eine Coming-Of-Age-Geschichte in Wort und „Musik“. Dazu kann die interessierte Leserschaft einfach dem Album-Hinweis im Buch folgen und schon werden die Szenen aus den Seiten musikalisch lebendig. Zusätzlich hat der Katapult-Verlag farbige Illustrationen von Malik Heilmann mit in das Werk aufgenommen. Dadurch können Augenblicke in der Welt der jungen Protagonist*innen intensiv miterlebt werden.

Der Autor und Hip-Hop-Künstler „Partizan“ lebt in München. Das könnte sich ändern, denn Andrej Murašov lässt vieles auf sich zukommen. Er ist als Dozent tätig. An der Volkshochschule unterrichtet er „Deutsch als Fremdsprache“. Im Studiengang Kommunikationsdesign der Hochschule München lehrt er „Kreatives Schreiben“. Er ist auch Toleranztrainer, vermittelt als solcher in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim Häftlingen im Alter von 14-21 Jahren Antirassismus und demokratische Werte. Er habe einen guten Draht zu jungen Leuten, sagt er im Gespräch. Auch wenn er sich schon immer ein Leben als Autor erträumt hat, auf diesen besonderen Draht zu seinen Kursteilnehmer*innen möchte er nicht verzichten. Die Nähe zum Publikum gefällt ihm auch als Künstler. Vor kurzem ist er in Slowenien aufgetreten. In den Lesungen kann er als Autor performen, das scheint eine perfekte Plattform für seine Talente zu sein.

Andrej Murašovs Kunst ist pädagogisch und politisch. Sein Roman ist eine Möglichkeit, jungen Menschen einen Ausweg zu zeigen, wenn das Leben schwer zu ertragen ist und die Gefühle verrücktspielen. So eine (Schul-) Lektüre habe er als Heranwachsender vermisst, erzählt er in einem Interview auf der Frankfurter Buchmesse 2022. Dabei berücksichtigt der – in Hip-Hop promovierte – Autor Erfahrungen und Erlebnisse dieser jungen Erwachsenen, die in der Gesellschaft aus verschiedensten Ecken auf sie einwirken, angefangen vom Elternhaus bis hin zu Institutionen wie der Polizei. Die Kräfteverhältnisse, die von unterschiedlichen Schichten und Milieus ausgehen, können sie nicht immer ausbalancieren. Es werden empfundene und erlebte Momente zu Gentrifizierung, Klassismus und Rassismus thematisiert, mit denen sie umgehen müssen. Mithilfe ihrer eigenen Stärken und dem Halt in ihrer Clique wird erzählt, wie im Jahre 2005 in Bielefeld das Leben dieser Outsiders aussieht.

Seit den Teenagerjahren schreibt Andrej; mit Lyrik hat er angefangen. Später entwickelte er Rap und produzierte Beats dazu. Mit Anfang 20 begann er, kurze Texte zu schreiben und Ende seiner 20er nahm das Volumen der Texte zu. Mindestens ein „Schubladenroman“ sei in dieser Zeit entstanden, sagt er lachend. Weitere zehn Jahre sollte es noch dauern, bis er seinen ersten Roman veröffentlichen kann. Bald kommt die Fortsetzung seines Debüts heraus, er arbeitet gerade daran. Einen Soundtrack wird es auch wieder geben. Das macht Vorfreude auf die Veranstaltungen mit Live-Musik. 22 performative Lesungen gab es bereits, auch in Schulen. Weitere sind ab Herbst 2023 geplant. Andrej kann es sich auch sehr gut vorstellen, auf einer Theaterbühne zu performen, das passe gut zu dem Live-Akt, sagt er.

Der Wissenschaftler und Musiker schreibt regelmäßig, am liebsten zwischen 12 und 17 Uhr. In diesen Stunden ist sein Ziel, drei Manuskript-Seiten zu produzieren. Der Multi-Berufler ist offen für seine Zukunft, auch Drehbücher zu schreiben interessiere ihn, verrät er. In „Alles Gold“ hat er sich für seine Dialoge eine weitere Raffinesse überlegt: Je nach Charakter lässt er seine Protagonist*innen in der Muttersprache reden und übersetzt diese. Durch diese Vielsprachigkeit sind die Dialog-Szenen authentisch gestaltet und eine Chance für die Lesenden, sich in die Lage derer zu versetzen, die das Fremdsein ständig erleben. Andrej ist bilingual aufgewachsen, mit slowenisch-russischem und deutschem Familienhintergrund. An ein Kinderbuch von Srečko Kosovel, das in Reimen geschrieben war, kann er sich besonders gut erinnern. Seine Babuschka (russisch: Großmutter) hat ihm daraus vorgelesen. Vielleicht ist es deswegen nicht verwunderlich, dass Andrej sich ein Hörbuch, noch besser ein Hörspiel von seinem Werk vorstellen kann. Oder eine Verfilmung. Oder eine Serie. So oder so: Ein Geschenk wird die Fortsetzung allemal!

In unserer Serie „Jung und schreibend“, in der wir junge Münchner Autor*innen vorstellen, porträtierten wir bisher Lisa Jeschke, Leander Steinkopf, Daniel Bayerstorfer, Katharina Adler, Benedikt Feiten, Caitlin van der Maas, Samuel Fischer-Glaser, Vladimir Kholodkov, Annika Domainko, Jan Geiger, Ines Frieda Försterling, Rebecca Faber, Natascha Berglehner, Tristan Marquardt, Martin Kordić, Moritz Hürtgen, Bernhard Heckler, Joana Osman, Mira Mann, Slata Roschal, Krisha Kops und Lea Rieck.