Ein Himmel, zum Zerreißen gespannt. Der zitternde Horizont, der Hügel, hinter dem sie ständig das Meer zu sehen glaubte, das leise Summen im Gras – das alles erinnerte sie an einen Film. Die unerträgliche Helligkeit hinderte sie daran, sich zu entspannen und ruhig zuzusehen. Von dem grellen Sonnenlicht taten ihr die Augen weh.

Auf der Leinwand waren nur sie und der Hund, aber das Mädchen wusste – jemand führt einen Film vor, und sie hat keinen Einfluss darauf. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Die kleinen Lebewesen – Insekten – gaben weiter ihre Laute von sich. Das Hin-und-her-Huschen der Eidechsen war ein Teil des Stummfilms. Der Wind machte gerade Mittagspause, und es gab niemanden, der die Wäsche auf den Leinen und die Markisen vor den Fensterscheiben zum Flattern gebracht hätte.

Es war ihr auch früher manchmal so vorgekommen, als wäre nichts real. Der Film lief, und das Mädchen konnte sich von der Seite sehen. Immer noch siebzehn Jahre alt, in ihrem Kleid, mit Sommersprossen im Gesicht. Um ihre Fesseln rankten sich wie Efeu die Riemchen ihrer Sandalen. Eine solche Leere hatte sie mitten in der Stadt noch nicht erlebt.

Es kann doch nicht sein, dass alle am Strand sind und die Häuser deshalb leer stehen? Diese Gärten, Stühle und aufgespannte Sonnenschirme, unter denen niemand sitzt. Als wäre etwas passiert, und die Menschen wären verschwunden, das Leben aber geht ohne sie weiter. Aus keiner einzigen Küche hörte man das Klappern von Geschirr, die Rufe von Kindern, Gespräche.

Sie blieb stehen und suchte nach einem Vogel oder einem anderen Geschöpf, das sich nicht in seinem Loch verkrochen und keine Angst davor hatte, sich draußen, in dem schaukelnden Zenit zu zeigen. Sie entdeckte nichts und niemanden. Die Zypressen am Wegrand waren in die Glut dieser Stunde gespießte Fische. „Charly, Charly, komm zurück! Hierher!“ Ihre Stimme klang dumpf, der Hund hörte sie und blieb neben ihr stehen .

Sie erinnerte sich an die heißen Tage ihrer Kindheit. Die steil abfallende Wiese, wo ihre Großmutter die heruntergefallenen Pflaumen auflas, zwischen all den Kräutern und Blüten. Sie spielte im Schatten eines Baumes mit dem Rücken zum Wald. Und alles war saftig und grün.

Hier gab es nicht ein Neutron jener Atmosphäre. Es war ein irrealer, betäubender Sommer. An der Grenze des Lebens. Bei all dem Licht wurde sie das Gefühl nicht los, dass sein schwarzes Auge sie von irgendwo her beobachtete. Seine lautlosen Schritte kamen bald näher, bald entfernten sie sich und verwandelten sie von einem jungen Mädchen in eine alte Frau.

Die Gebäude, die kleine Kapelle, sie selbst, alles wurde von den Sonnenspitzen durchdrungen. Sie gingen mitten hindurch, so dass es keinen Zentimeter Schatten gab. Alles stand für sich allein. Im hellen Schein seines Schmerzes. Solche Einsamkeit kannte sie nicht. Sie weckte einen unstillbaren Durst, obwohl sie immer wieder aus der Flasche mit Sonnenwasser trank.

Charly näherte sich der Stelle, an der er sonst sein Revier markierte, kam aber schnell wieder zurück. Die junge Frau spürte jetzt nicht mehr, dass hinter der nächsten Anhöhe das Meer auftauchen würde. Es kam ihr so vor, als gähnte dort ein Abgrund, in dem es einmal Wasser gegeben hatte, das längst in den Furchen der Erde versickert war. Seit einer knappen Stunde bewegten sie sich auf der bekannten Strecke mit diesem unbekannten Gefühl. Geht es dir auch so, Hündchen, flüsterte sie. Du bist der einzige weiße Schatten in dieser Welt. An diesem blendenden Nachmittag gab es nichts zu entdecken. Alles war längst offenbart .

Ihr Blick stieß gegen eine schwankende Mauer aus Luft und prallte daran ab. Irgendetwas bewegte sich dort. Etwas war geschehen und hatte die Luft zum Beben gebracht. Jene tiefe Vorahnung einer Bewegung, irgendein rätselhaftes Band spulte sich ab, verdrehte die offensichtlichsten Dinge und zeigte ihre verborgenen Seiten. Und allein die Sehnsucht des Mädchens nach einem Windhauch wehte die Eidechsen wie trockene Halme vom Weg.

Kurz bevor sie den absurden Wohnblock erreichten, in dem sie gewöhnlich verschwanden, hielt ein Auto neben ihr. Am oberen und unteren Ende der Straße herrschte völlige Leere. Woher und wie diese schwarze Limousine mit ihrem metallischen Glanz unter dem Himmel aufgetaucht war, wer am Lenkrad saß und warum sie anhielt – sich das zu fragen, blieb dem Mädchen keine Zeit. Sie verfolgte das Geschehen wie auf einer Leinwand, mit leicht zusammengekrampftem Magen und erwachter Neugier.

Das vordere Seitenfenster glitt langsam nach unten, eine grazile Guillotine. Ein Kopf mit üppigem, von Gel gebändigtem Haar erschien. In ihren Augen ein Feld mit Olivenbäumen. Ein Gesicht unbestimmbaren Alters mit dunkler Brille verzog die Lippen zu einem Lächeln. Sie fragte: „Kann ich Ihnen helfen?“

An dieser Stelle reißt der Film. Im letzten Bild sitzt ein kleiner Hund auf dem Bürgersteig und wartet.
Tania Rupel-Tera