Von Bernd Zabel

Dass die Spuren Ilse Schneider-Lengyels nicht gänzlich getilgt sind, verdankt sich einer glücklichen Fügung. Nach ihrem Tod im Jahr 1972 finden sich in ihrem aufgelassenen Haus am Bannwaldsee bei Füssen verstreute Dokumente, die schließlich in den Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek gelangen. Der Jenenser Germanist Peter Braun hat sich der Aufgabe gestellt, aus dem höchst lückenhaften Nachlass Werk und Biographie zu rekonstruieren. Bekannt wird die Autorin als Gastgeberin des ersten Treffens der Gruppe 47 in ihrem Haus am Bannwaldsee. Die Gruppe ist dominiert durch Literaten, die den Krieg überlebt haben und nun einen Neuanfang suchen. Verschiedene Stimmen erklingen, viele sind der Zeit des Dritten Reichs zumindest unbewusst noch verhaftet. Das Schaffen der Schneider-Lengyel wird von der Männerriege jedoch kaum wertgeschätzt.

Zwar weiß man, dass sie die Kriegsjahre überwiegend in Frankreich verbracht hat – dass sie als Fotografin dem Bauhaus nahesteht und als Ethnologin über Urvölker forscht, blieb aber unbemerkt. Geboren wird sie 1903 in München in ein protestantisch-liberales höheres Beamtenhaus. So muss sie keine typische Frauenausbildung absolvieren, sondern kann in München Kunstgeschichte studieren. Gleichzeitig beginnt sie eine fotografische Ausbildung. Die 1920er Jahre führen sie dann nach Paris, wo sie Kontakt zu Paul Valery und den Surrealisten findet. Ihre ethnologischen Studien setzt sie ab 1928 in Berlin fort, die fotografische Arbeit beim dortigen Lette-Verein. Aus der intensiven Beschäftigung mit indigenen Kulturen entsteht ihr erstes Buch: „Die Welt der Maske“, das 1934 bei Piper in München erscheint. Der Band versammelt Fotografien und Begleittexte von ihrer Hand und erzählt die Geschichte der Masken von den Naturvölkern bis zum modernen Tanztheater. „Wir, die wir uns höherstehend als der Primitive empfinden, müssen zugeben, dass wir weiter entfernt sind vom Erfassen der Überwirklichkeit …“  Masken werden als kinetische Gegenstände gefasst, die magische Kräfte entfalten. 1926 lernt sie in Berlin den ungarischen Maler und Designer László Lengyel kennen, den sie 1933 heiratet. Da Lengyel Jude ist, muss das Paar schon bald ins Pariser Exil gehen. Dort kann sie sich als Autorin kunstgeschichtlicher Bildbände etablieren, bringt fünf Titel in zwei Jahre heraus. Mit der Besetzung der Stadt Paris durch deutsche Truppen im Jahr 1940 endet die französische Karriere. Sie resigniert aber nicht und wendet sich einer für Sie neuen Kunstform zu, der Lyrik, und verfasst Gedichte im surrealistischen Stil. Nach der Befreiung der Stadt Paris 1944 schreibt sie zudem Feuilletons über das französische Kulturleben für deutsche Blätter, z. B. über den Existentialismus Jean-Paul Sartres. Eines dieser Blätter ist „Der Ruf“ Werner Richters, des Gründers der Gruppe 47. Ilse Schneider-Lengyel wird an den folgenden Treffen der Gruppe teilnehmen und ihre Gedichte auch immer wieder vortragen, die jedoch auf wenig Resonanz stoßen. Zu fremd erscheint den Versammelten die „ecriture automatique“.

Mehr Erfolg hat sie mit dem Radio-Feature „Totem und Trommel“ – Dichtungen der Naturvölker, das 1951 gesendet wird. Ein Romanprojekt gleichen Titels scheitert jedoch, die Zeit der Ethnopoesie eines Hubert Fichte ist noch nicht gekommen. Gleiches gilt für ein Theater-Projekt mit dem Titel: „Hier Welle Nullpunkt. Achtung Stickstoff. Ein Atomdrama“, „ein magisches Tonrelief mit Elektronenmusik“, in dem sie sich mit ihren Mitteln gegen die atomare Bewaffnung stellt. Auf die Ablehnungen reagiert sie mit Rückzug.  Gesundheitliche und finanzielle Probleme zwingen sie, den geliebten See und das Haus zu verkaufen. Aus der geplanten Übersiedlung nach München wird nichts mehr, die letzten vier Jahre ihres Lebens verbringt Ilse Schneider-Lenyel in einer Konstanzer Klinik.

Ist dieses Porträt eine lohnende Wiederentdeckung? Es krankt leider an der schwachen Faktenlage. So erfahren wir über Surrealismus, Sartre und die Gruppe 47 mehr als für die historische Einbettung der Hauptperson nötig wäre. So bleibt Ilse Schneider-Lengyel, was sie zuvor schon war, eine schillernde, rätselhafte Figur.