Natascha Berglehner über missbräuchliche Beziehungen

Von Ursula Sautmann

„In Gedanken setzte ich ihn an den Badewannenrad. … Ich küsste ihm die Wange. Er reagierte nicht. Denn er sah mich nicht. Ich verschwand.“ Wenn Adèle, die Ich-Erzählerin aus „Im Zimmer ist Winter“ von Natascha Berglehner, dem Schwimmlehrer neun Jahre nach einer intensiven Beziehung durch die Straßen der Stadt folgt, sucht sie verzweifelt nach Halt, Inhalt, Sinn. „Je länger ich den Schwimmlehrer beobachtete, ihm folgte, desto mehr verschwand ich, um seinem Leben Platz zu machen. Zumindest blieb ich meinem Leben fern …. Und ich füllte mit seinem Leben meine Leere, statt Mutters Puppen zu streicheln … Die Gefühle der Vergangenheit, sie durften nicht vergangen sein.“ Eindringlich, dabei fast sachlich, beschreibt Natascha Berglehner die Gefühle einer jungen Frau, die ihrem einstigen Trainer im Schwimmverein obsessiv nachstellt. Als junges Mädchen hat er, fast 20 Jahre älter, sie mit seinen leuchtenden Augen verführt, als junge Frau kann sie ihn nicht vergessen, kann sie die toxische Beziehung nicht hinter sich lassen. Wie auch? Der Vater hatte die Familie verlassen, als Adèle ihn am dringendsten gebraucht hätte. „Ich war schuld, dass Vater gegangen war. Oberflächlich betrachtet war es Mutter. Doch am Ende war ich diejenige, die ihn hätte halten können, die aber mit anderen Dingen beschäftigt gewesen war, mit dem Schwimmlehrer zum Beispiel.“ Die Mutter wandte sich ihrer Puppensammlung zu, als ihre Tochter zu einer jungen Frau heranwuchs.

„Im Zimmer ist Winter“ ist ein Buch über eine Beziehung zwischen einer Heranwachsenden und einem Mann, über eine Beziehung, die nicht sein dürfte und die sich doch unzählige Male auch in unserer Umgebung anbahnt oder gar stattfindet. Auch aus diesem Grund taucht der „Schwimmlehrer“ nur selten mit seinem Namen auf. Ja, er ist noch nicht einmal wirklich ein „Schwimmlehrer“, er ist austauschbar, namenlos, allgegenwärtig. Natascha Berglehner lässt keine noch so bestürzende Facette dieser missbräuchlichen Beziehung aus.
Adèle ist dem Schwimmlehrer verfallen, die Leserin den Zeilen im Buch, auf der Suche nach Halt, nach Erlösung. „Im Zimmer ist Winter“ vermag zu fesseln, bis zum letzten Satz. Und das, obwohl das Ergebnis eigentlich vom ersten Satz an feststeht.

Es ist ein Tabuthema, das die Münchner Autorin sich für ihren ersten Roman ausgesucht hat. Sie will, sagt sie im Gespräch, dass Leser*innen und mit ihnen die ganze Gesellschaft hinschaut. „Die Benachteiligung soll gesehen werden“, sagt sie. Die Benachteiligung ihrer Erzählerin im Buch ist umfassend, sozial und emotional. Die Beschreibung ist einfühlsam und detailliert, fast dokumentarisch. Und genau das macht sie so wuchtig, so mächtig, so überzeugend.

Die Autorin ist Innenarchitektin, der Beruf erscheint ihr heute, während der Elternzeit, nicht mehr sinnstiftend genug. Ihre eigene Geschichte ist geprägt von der Erfahrung als „Halbasiatin“, wie sie es nennt. Zuschreibungen, die auf Äußerlichkeiten beruhen, kennt sie aus eigener Erfahrung, ebenso das Gefühl der „Andersartigkeit“. Es gehe ihr darum, die Isolation zu zeigen, die aus ihr resultiert, und die Frage zu beleuchten, wie man/frau da herauskommen kann. Ihr zweiter Roman ist in Arbeit, und er wird sich ebenfalls einer Frau widmen, die nicht aufgeht in ihrer gegebenen Rolle (als junge Mutter), die sich nicht abfindet mit den Grenzen, die die Familie ihr auferlegt, die Auswege sucht.

Natascha Berglehner selber empfindet ihr Leben zur Zeit als ausgewogen und genau richtig. Die Bodenhaftigkeit, die die Versorgung der Kinder mit sich bringe, bilde einen Ausgleich „gegen das Davonflattern“ mit ihren Figuren. Gerne liest sie Sally Rooney, taucht ein in die Atmosphäre von Menschen, die der Einsamkeit zu entrinnen versuchen.

Viele Verlage, erzählt die Autorin, hätten ihr Manuskript abgelehnt: zu abseitig, zu fordernd, zu verstörend. Martin Brinkmann und sein Weissbooks-Verlag sind das Risiko eingegangen. Es lohnt sich für Leserinnen wie Leser, sich auf die Herausforderungen der Geschichte einzulassen.

Natascha Berglehner:
Im Zimmer ist Winter Roman, 221 Seiten
Weissbooks, Berlin 2021
22 Euro

In unserer Serie „Jung und schreibend“, in der wir junge Münchner Autor*innen vorstellen, porträtierten wir bisher Lisa Jeschke, Leander Steinkopf, Daniel Bayerstorfer, Katharina Adler, Benedikt Feiten, Caitlin van der Maas, Samuel Fischer-Glaser, Vladimir Kholodkov, Annika Domainko, Jan Geiger, Ines Frieda Försterling und Rebecca Faber.