Graphic-Novel-Zeichner Dominik Wendland berührt mit seinen Illustrationen

Von Markus Czeslik

Dominik Wendland öffnet die Tür zu seinem Atelier im Glockenbachviertel: ein riesiger Raum mit hohen Decken, Zeichnungen an den kargen Wänden, die Einrichtung schlicht gehalten – der Fokus liegt ganz auf der Kunst. Auf ausgezeichneter Kunst. Dominik hat einige in der Comic-Szene renommierte Preise erhalten, bei denen das Who is who der Graphic-Novel-Szene nominiert war, was ihn heute noch stolz macht: für seine Technologievision „EGOn“ den Award der German Comic Con für Beste Science Fiction im Jahr 2019 und für „Tüti“ den Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur im Jahr zuvor.

Vermutlich würden nicht viele Literaturbegeisterte die Graphic Novel ausgerechnet dieser Gattung zuordnen. Für Dominik gehört Schreiben und Zeichnen von Anfang an zusammen – am liebsten analog. „Das hat etwas Ursprüngliches. Es ist meine Handschrift, die ich auf dem Endprodukt sehe.“

Die Frage, wann er mit dem Zeichnen angefangen hat, amüsiert ihn. Schließlich zeichnet jedes Kind. Im Unterschied zu den meisten von uns hat Dominik nie mit dem Zeichnen aufgehört. Inspiriert vom Comic-Tagebuch des US-Amerikaners James Kochalka wagt er sich mit 15 Jahren selbst an ein Online-Tagebuch und damit an eine größere Öffentlichkeit. Er illustriert und kommentiert in „Pete‘s Daily“ über Jahre hinweg Szenen aus seinem Leben und erhält dafür 2014 den Lebensfenster Preis auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen.

Auch seine nächsten Veröffentlichungen erhalten viel Beifall, seine Kundenliste wächst, darunter SZ, ZEIT und Spiegel, darüber hinaus in München das Goethe Institut und das Literaturhaus, die Technische Universität, die Villa Stuck und BMW. Er gibt die Tagebuchform vorübergehend auf und springt auch nicht auf den Zug der Biopics und Literaturadaptionen, die den Nischenmarkt überschwemmen.

Dominik erfindet lieber ungewöhnliche Protagonisten („In denen steckt natürlich auch viel von mir“) wie in „Tüti“. Der im Jaja Verlag erschienene Comic kreist um die zentrale Frage: „Wer bin ich?“ Eine Plastiktüte lässt sich von Wind und Zufall durch die Geschichte tragen, bleibt nicht greifbar und macht immer wieder einen unerwarteten Move. Haben wir es mit einem selbstbestimmten Individuum zu tun oder lediglich mit einem Gefäß, das von anderen gefüllt wird? Der Comic gibt keine klare Antwort und spiegelt ein eher brüchiges Ich-Empfinden. „Am liebsten zeichne ich Menschen oder Menschenähnliche, die sich in irritierenden Verhältnissen wiederfinden. Damit kann ich mich sehr identifizieren“, stellt er in einem Interview fest.

Dominik geht durchs Atelier und holt von einem Tisch eine Reihe von Tongefäßen hervor, die er selbst gestaltet. Er wendet sie hin und her. Wozu die Gefäße am Ende dienen sollen, scheint er bis zum Schluss offen zu lassen. „Einfach mal sehen, wo das Ganze hinführt“, sagt er schmunzelnd. Ähnlich geht er an einen Comic heran: „Autorenzeichner passt am ehesten zu mir. Ich überlege mir nicht vorher einen Plan und grüble lange darüber nach, wie die Szenen aussehen.“ Vieles entwickelt sich aus der Intuition. „Das Wichtigste ist, erst mal eine Art Vakuum zu schaffen, einen leeren Raum, und dann zu schauen, womit sich dieser füllt.“

An Einfällen mangelt es nicht, eher an verfügbarer Zeit. Dominik gibt Comic- und Grafikdesign-Kurse an der TU München und engagiert sich in der Szene. Zuletzt hat er die ArtZi (art & zine werkstatt) in München gegründet. Seine Atelierwände füllen sich mit Zeichnungen aus seinem aktuellen Buchprojekt, für das er das Literaturstipendium der Stadt München erhalten hat. Es reflektiert unser ambivalentes Verhältnis zur neuen Arbeitswelt – wieder auf eine humorvolle Art, die zugleich zum Nachdenken anregt. Die Konzentration aufs Wesentliche mit nur wenigen einfachen Strichen wird dabei sein Markenzeichen. „Ich stehe auf eine klare Linie und bevorzuge einen Stil, mit dem ich schnell Geschichten erzählen kann.“

Schließlich traut er sich mit einem sehr persönlichen Thema an die Öffentlichkeit und dokumentiert in seinem „Antidepri Tagebuch“ die Klaviatur an Gefühlszuständen, in die ihn die Einnahme eines Antidepressivums versetzt. Die Illustrationen berühren die Leser, nehmen sie mit auf die Reise, die sich anfühlt, „wie 500 Meilen gelaufen sein und nochmal 500 vor sich haben“. Der Mut hat sich mehrfach gelohnt: Das Tagebuch erhielt kürzlich den Preis der Internationalen Bodensee Konferenz. Und auch aus der Leserschaft schlägt ihm viel Empathie entgegen: „Ich war überrascht, wie viele persönliche Nachrichten ich bekommen habe, von Menschen, die selbst Ähnliches durchgemacht haben oder in ihrem Umfeld jemanden kennen.“ Auf der letzten Seite öffnet sich eine Tür. Einfach mal sehen, wo das Ganze hinführt …

In unserer Serie „Jung und schreibend“, in der wir junge Münchner Autor*innen vorstellen, porträtierten wir bisher
Lisa Jeschke, Leander Steinkopf, Daniel Bayerstorfer, Katharina Adler, Benedikt Feiten, Caitlin van der Maas, Samuel Fischer-Glaser, Vladimir Kholodkov, Annika Domainko, Jan Geiger, Ines Frieda Försterling, Rebecca Faber, Natascha Berglehner, Tristan Marquardt, Martin Kordić, Moritz Hürtgen, Bernhard Heckler, Joana Osman, Mira Mann, Slata Roschal, Krisha Kops, Lea Rieck und Andrej Murašov.