Fast jeder hat etwas auf den Ohren. Sind wir unterwegs, dann sind es unsere Kopfhörer auch. Kopfhörer schaffen unendlich viele voneinander isolierte Akustikräume, füllen die mit Musik, mit Worten, die absolut nichts mit der Geräuschewelt außerhalb zu tun haben. Ein kleines Accessoire, links und rechts an uns angebracht, gibt zu verstehen: „Also, ich höre gerade nichts. Also, hören tu ich schon was, aber eben nur das, was aus den Stöpseln kommt.“ Was genau das ist, bleibt ein Geheimnis, und so hat jeder sein Geheimnis. Außer …, die Kopfhörer sind Schrott. Schrottkopfhörer lassen mithören: blecherne Bass-Rhythmen, die wirklich sehr, sehr basic klingen.

Werden die Menschen durch ihren selbstgewählten Rückzug in Akustik-Bubbles Geschichten, die sich vor ihren Nasen abspielen, überhören, übersehen? Geschichten, die das Zeug für große Literatur hätten? Geschichten, die das Leben schrieb, und das sind ja ohnehin die besten? Geschichten, die sich vor der Haustür, in der Tram, an der Kasse des Supermarkts … abspielen und die einfach nur von Autoren, Autorinnen gesehen/gehört werden wollen? Die tiefen, tiefgreifenden Monologe all der letzten Partygäste zum Beispiel. Sie degenerieren zu bloßen Mundbewegungen … Hören so Geschichten auf?

Nein. Weil Geschichten nämlich nie aufhören. Bevor sie aufhören, hört die Welt auf.

Die Frau war blind, sprach die Bitte in die Luft, ihr in die gerade einfahrende U-Bahn zu helfen. Gehört hat sie keiner. Die Frau wird laut und lauter, gestikuliert wild und wilder, bis – und das hatte choreografische Qualitäten – fünf umstehende Menschen gleichzeitig an den Kabeln um ihre Hälse ziehen, es mehrfach ploppte – plopp, plopp, plopp … (so oder so ähnlich machen aus den Ohren gezogenen Stöpsel) – und die Fünf mit weit aufgerissenen Augen und im Terzabstand den Sprechgesang anstimmen: „Was ist denn los? Was ist denn los? Was ist denn los?“. Wenn es diese Szene in keinen Text schafft, dann weiß ich auch nicht.

Wir dürfen im Übrigen davon ausgehen, dass ein großer Prozentsatz der Kopfhörerträger*innen zwar Kopfhörer trägt, aus diesen Kopfhörern aber nichts herauskommt, diese Menschen ihre Kopfhörer nur deshalb tragen, weil sie soziale Kontakte hassen wie den Tod. Eine Vorlage für einen Psycho-thriller.

Andere haben die Halbkugeln auf den Ohren, weil sie Lust am Spionieren haben. Sie tun so, als würden sie nichts hören, hören aber unentwegt und jagen Geschichten hinterher. Der Rest der Menschen hört aus seinen Kopfhörern irgendwas, und manchmal beginnt einer von ihnen zu tanzen und merkt nicht, dass es regnet, und dass er es mit seiner Vergessenheit bis in ein Buch schafft.

Dika