Literatur als Verbindung zu Erbe und Hinterlassenschaft

Von Ursula Sautmann

Ein verlässlicher Lichtblick im grauen Herbst: das Literaturfest München. Es ist das 14. seiner Art, beginnt am 15. November und endet am 3. Dezember. Das Angebot ist auch diesmal überbordend, ein Überblick mag als Wegweiser dienen.

Das Forum darf als Zentrum des Literaturfests betrachtet werden, soll es doch mit seinen wechselnden Themen als Impulsgeber für Debatten und Ideen wirken. Schon der Titel: „Was wir erben, was wir hinterlassen“ tut seine Wirkung und wirft postwendend Fragen auf: Ich erbe gar nichts, aber stimmt das überhaupt? Erbt nicht jeder? Ich erbe eine Menge, ist das gerecht? Was erbe ich eigentlich, nur das Haus oder auch die Geschichte meiner Familie, des Landes, in dem ich geboren wurde? Und was hinterlasse ich, wenn ich nichts habe oder wenn das Haus bereits verschenkt wurde?

Lukas Bärfuss, Kurator des Forums, erzählt, dass es keiner Überzeugungsarbeit vonseiten des Literaturhauses bedurft habe, ihm Organisation und Begleitung des Forum-Programms sowie auch das Thema anzutragen. Der Ursprung der Idee dürfte in seinem 2022 bei Rowohlt erschienenen Buch „Vaters Kiste. Eine Geschichte über das Erben“ zu finden sein. Bärfuss, Autor und Essayist aus der Schweiz und Georg-Büchner-Preisträger, hat das Erbe seines Vaters ausgeschlagen. Was blieb, war eine Kiste mit Dokumenten aus dem Leben seines Vaters.  „Erben“, sagt er im Gespräch, „betrifft uns alle am intimsten Punkt, ist existenziell, wirft unmittelbare Fragen auf“. Denn, was man erbe, sei gleichzeitig eine „gesellschaftliche, biologische und kulturelle Sache“. Als Vater dreier Kinder habe er die Kleinfamilie als Lebensform geerbt, aber gerade dieses immaterielle Erbe berge in sich eine Wahlfreiheit. Es sei kein Naturgesetz, welche Bücher wir lesen, welches Denkmal wir errichten. Und was noch entscheidender sei: Wir könnten uns aussuchen, was von uns bleiben solle. Er will, wie er im Gespräch bekräftigt, seinen Kindern Liebe vererben und Beziehungen zu Menschen leben und hinterlassen.

Bärfuss scheut generell keine kontroversen Diskussionen über gesellschaftliche und soziale Defizite seines Heimatlandes wie der westlichen Gesellschaften. Als ebenfalls lesenswert mag sein Werk „Hundert Tage“ über die im Dunkeln gehaltene Seite der Schweizer Entwicklungshilfe in Ruanda empfohlen werden – auch dies ein Erbe, mit dem gelebt werden muss. Das Thema des diesjährigen Forums ist in vielerlei Hinsicht aktuell und baut eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft. Die Annäherungen, die im Forum-Programm angerissen werden, machen neugierig. Eine ganz besondere Veranstaltung findet am 19. November im Saal des Literaturhauses statt und trägt den Titel „Familienkisten – Erbstücke und ihre Geschichten“. Hier ist Ihre Mitarbeit gefragt: Schicken Sie ein Bild Ihres Erbstücks oder eine Geschichte per Mail an kontakt@litmuc.de oder posten Sie Ihr Bild auf Instagram oder Facebook mit den Hashtags #litmuc23 #erbstücke #waswirerben und markieren Sie zusätzlich das Literaturfest München. Die spannendsten Erbstücke werden bei der Veranstaltung von Bärfuss und Valentin Groebner vorgestellt.

Die Münchner Schiene im Rahmen des Literaturfests lenkt den Fokus auf die hiesige Literaturszene und wird kuratiert von Anke Buettner und Rebecca Faber für die Monacensia im Hildebrandhaus. Es gibt sechs Veranstaltungen, die Kuratorinnen werden unterstützt von Silvia Bauer, Dagmar Leupold, Yirgalem Fisseha Mebrahtu, Norbert Niemann, Stella Nyanzi, Georg M. Oswald und Tina Rausch. Den Auftakt macht ein Open House der freien Szene am 18. November mit Schreibwerkstätten, Lesereihen und Literaturmagazinen (in der Monacensia im Hildebrandhaus). Am Ende dieser Veranstaltung steht eine Lesung. Die Münchner Schiene findet zum zweiten Mal statt und wird (wie das Literaturfest insgesamt) vom Kulturreferat der Stadt gefördert mit dem Ziel, Münchner Autorinnen und Autoren einen festen Platz im Literaturfest zu geben. Der Antrieb sei, führt Rebecca Faber aus, „die vielfältige Szene sichtbar zu machen und in die literarische Geschichte Münchens einzubinden“. Präsentiert werden unterschiedliche Positionen, Textformen, narratives Design, Graphic Novel als Game Design für ein Computerspiel. Eine Bühne erhalten Texte, die noch nicht veröffentlicht sind, klassische oder experimentelle. Den „Abschlussbally“ bildet eine Party mit Drag Show zu Bally Prell.

Das Festprogramm des Literaturhauses stellt Neuerscheinungen von Hallgrímur Helgason aus Island, Navid Kermani und Daniel Kehlmann sowie der Schauspielerin Valery Tscheplanowa mit ihrem spektakulären Debüt vor. Zum Abschluss – am ersten Adventswochenende – konzentriert sich der Buchmarkt „Andere Bücher“ im Literaturhaus auf die Programme kleiner, unabhängiger Verlage und auf bibliophile Besonderheiten (Weihnachtsgeschenke!), ergänzend eine Grafik-Verkaufsausstellung. Und selbstverständlich findet auch diesmal wieder die Münchner Bücherschau statt, zum 64. Mal und mitsamt den begleitenden Veranstaltungen im Westflügel des Hauses der Kunst in der Prinzregentenstraße.

Ausführliche Informationen finden Sie unter
www.literaturfest-muenchen.de