Ein ungereimtes Verhältnis

Von Antonie Magen

Vom Herbst 1827 bis Sommer 1828 war Heinrich Heine in München als Redakteur von Cottas „Neuen allgemeinen politischen Annalen“ tätig. Die Charakterisierungen, die er für die bayerische Residenzstadt gefunden hat, sind nicht eben schmeichelhaft. So ist in einem Brief vom Februar 1828 davon die Rede, dass in München „ein niederträchtiges Clima“ herrsche, was nicht nur metereologisch zu verstehen ist. Vielmehr handelt es sich dabei auch um eine Aussage zur politisch-weltanschaulichen Atmosphäre, in der sich der liberale, durch seine rheinische Herkunft republikanisch geprägte Heine nicht heimisch fühlte. In einem zweiten Brief wird er dann deutlicher und spricht von „Kleingeisterey von der großartigsten Art“.

Heute erinnert die Stadt München mit einem Denkmal an ihren verächtlichen Gast von einst. Es befindet sich an versteckter Stelle, im südlichen Teil des Finanzgartens. Der Besucher läuft direkt auf die Skulptur eines Mannes mit Spazierstock, Gehrock und Zylinder zu, der Bürgertracht des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich aber nicht, wie man zunächst denkt, um Heine, sondern um die Darstellung seines Zeitgenossen, des russischen Dichters Fëdor Tjutcˇev, der während Heines Münchner Aufenthaltes mit diesem freundschaftlichen Umgang pflegte.

Das Heine-Denkmal daneben ist etwas zurückversetzt und fällt erst auf den zweiten Blick ins Auge. – An dieser Stelle des Finanzgartens bilden die Reste des ehemaligen Gartenhauses des Prinz-Carl-Palais einen Hügel, in den der Weinkeller des historischen Gebäudes als Grotte integriert ist. Sie ist vergittert, in ihrem Inneren befindet sich ein zweiteiliges Skulpturenensemble aus Bronze. Es besteht zum einen aus einem weiblichen Akt, der auf einer Bank mit der Aufschrift „Heinrich Heine zum Gedächtnis (1797-1856)“ sitzt, zum anderen aus einer Tafel, die Gedichtzeilen aus Heines „Buch der Lieder“ trägt: „Die Rose/Die Lilie, die Taube, die Sonne/Die liebt ich einst alle“. Zwischen beiden Teilen ist ein Brunnen in den Boden eingelassen, die Frau kann somit als Brunnenymphe verstanden werden. Zu dieser Figureninterpretation passt auch die äußere Gestaltung des Hügels: Er ist dicht mit Nadelbäumen bewachsen und macht so den Eindruck eines romantischen, verwunschenen Ortes, der mitten in einer Waldeinsamkeit gelegen ist.

Die Bronzefigur wurde von dem Münchner Bildhauer Toni Stadler (1888-1982) geschaffen und im August 1962, auf Betreiben Erich Kästners, des damaligen PEN-Präsidenten, zum Gedenken an Heinrich Heine aufgestellt. Wie aber erinnert das Denkmal an den jungdeutschen Schriftsteller?

Die offensichtlichsten Hinweise sind die Schriftelemente des Denkmals, also die Widmung an der Sitzbank, sowie die Gedichttafel. Dass ein Gedicht zitiert wird, das nicht aus der Münchner Zeit stammt, sondern bereits früher entstanden ist, mag dem Umstand geschuldet sein, dass hier die Begriffe „Rose“ und „Lilie“ eine wesentliche Rolle spielen. Sie gehören zu den meistgebrauchten Substantiven, die Heine in seinen Versen verwendet, und haben somit einen gewissen repräsentativen Wert für seine Lyrik.

Eine weniger konkrete Assoziation ruft das Gitter hervor, das allerdings nicht von Stadler stammt. Es könnte vage an die Matratzengruft erinnern, in der Heine seine letzten Lebensjahre eingesperrt war. Ähnlich unspezifisch ist das Motiv der Nymphe, die in Heines Werk nur selten auftritt, und die äußere Gestaltung der Grotte. Beides inszeniert ihn im weitesten Sinne als gefühlvollen, unpolitischen, romantischen Dichter im populären Sinne des Wortes.

Damit drückt München ein ähnliches Nichtverständnis ihres ehemaligen Besuchers aus, wie es einst der Dichter der Stadt entgegenbrachte. Dass der letzte Vers des Gedichtes aus dem „Buch der Lieder“ nicht zitiert wird, ist symptomatisch. Sie lautet: „In Liebewonne“ und gibt den vorherigen Zeilen den abschließenden Reim: „Die Rose/Die Lilie, die Taube, die Sonne/Die liebt ich einst alle. In Liebeswonne“. – Wie man das Verhältnis von Heine zu München und von München zu Heine auch dreht und wendet, am Ende bleibt es ungereimt.

P.S. In einer Serie wollen die „LiteraturSeiten München“ Dichter-Denkmäler in der Landeshauptstadt vorstellen. Den Anfang machte im Oktober das Denkmal für Kurt Eisner am Jakobsplatz.