Von Katrina Behrend Lesch

Ilaria ist sechzehn, als sie erfährt, dass ihr Vater Attilio Profeti eine Zweitfamilie unterhält, sie neben ihren zwei Brüdern noch einen Halbbruder hat. 25 Jahre später stellt sich ein junger Äthiopier als ihr Neffe vor, und aus dem Dunkel der Vergangenheit taucht ein weiterer Halbbruder, Shimetas Vater, auf. In dieser hintergründigen Familienaufstellung entwirft Francesca Melandri ein Porträt Italiens von Mussolini bis Berlusconi, eine Geschichte des Kolonialismus und seiner langen Schatten bis in die Gegenwart. Melandri gelingt mit einer bildhaften poetischen Sprache, in Perspektivenwechseln und Zeitsprüngen, den Verwicklungen der handelnden Personen zu folgen und ihnen in ihrer Individualität nahe zu kommen. „Sangue giusto“ lautet der Originaltitel dieses fulminanten Romans, der deutsche greift auf Profetis Mantra zurück: Alle müssen sterben. „Alle, außer mir.“

Francesca Melandri
Alle, außer mir
Aus dem Italienischen von Esther Hansen
Roman, 608 Seiten
Wagenbach Berlin, 2018
26 Euro