Vor 400 Jahren begann der 30jährige Krieg /
Von Andreas Gryphius bis Bert Brecht und Durs Grünbein

Von Antonie Magen

Wir sind doch nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret! // Der frechen Völcker Schaar / die rasende Posaun // Das vom Blutt fette Schwerdt / die donnernde Carthaun // Hat aller Schweiß / und Fleiß / und Vorrath auffgezehret. // Die Türme stehn in Glutt / die Kirch ist umgekehret. // Das Rathauß ligt im Grauß / die Starcken sind zerhaun // Die Jungfern sind geschänd‘t / und wo wir hin nur schaun // Ist Feuer / Pest / und Tod / der Hertz und Geist durchfähret“. – Mit diesen sprachgewaltigen Zeilen beginnt das Sonett „Tränen des Vaterlandes“, das Andreas Gryphius 1636 unter dem Titel „Trauerklage des verwüsteten Deutschlands“ verfasste und ein Jahr später publizierte. Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges, dessen Beginn sich in diesem Jahr zum 400. Mal jährte, werden hier so eindrücklich beschrieben, dass sie dem Leser bis heute plastisch vor Augen stehen.

Dabei sind die Verse von Gryphius nur ein Beispiel für eine Vielzahl dichterischer Zeugnisse, in denen schon die Zeitgenossen das Kriegsgeschehen verarbeiteten und als Inbegriff von Gewalt und Verwüstung darstellten. So verfasste beispielsweise Martin Opitz im Winter 1620/21 das „Trost-Gedichte in Widerwertigkeit deß Krieges“. Noch im „Dankeslied zum Kriegsende“ sprach Paul Gerhardt von „zerstörten Schlösser[n] / und Städte[n] voller Schutt und Stein“, von „vormals schönen Felder[n], / mit frischer Saat bestreut, / jetzt aber lauter Wälder und dürre, / wüste Heid“, von „Gräber[n] voller Leichen / und blutge[m] Heldenschweiß“. Immer noch bekannt ist das Kinderlied „Maikäfer flieg“, das vermutlich ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert stammt und Bezug auf dessen Kriegskatastrophe nimmt.

Auch wenn sich der lyrische Ausdruck aufgrund seiner Eingängigkeit besonders für die Thematisierung der sogenannten „Deutschlandklagen“ eignete, wurde das Kriegsgeschehen nicht nur im Gedicht thematisiert. Vielmehr brachte die Barockzeit eine ungewöhnliche literarische Vielfalt hervor: Neben der Versdichtung standen die klassischen Formen Drama und Roman. Der bekannteste, der „Simplicius Simplicissimus, der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“, von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, erschien zwar erst 1669 und damit über 20 Jahre nach Kriegsende. Er beruhte aber auf Kriegserfahrungen, die der Verfasser während seiner Militärzeit gemacht hatte. – Überdies etablierten sich innovative Formen wie die Flugblattliteratur, ein dezidiert politisches Genre, in dem sprachliche und graphische Elemente eine enge Verbindung eingingen. Das sogenannte „Figurengedicht“, das aufgrund der optischen Gestaltung eines literarischen Textes als Frühform konkreter Poesie gelten kann, wurde populär. Gelehrtendichtung reihte sich an religiöse Lyrik, volkssprachliche Texte wurden ebenso produziert wie lateinische Dichtungen. Schließlich entstanden zahlreiche Poetiken, die als theoretische Texte über das Wesen und die Bauart von Poesie Auskunft geben. Am bekanntesten ist Opitz‘ „Buch von der deutschen Poetrey“ (1624). Das Regelwerk hatte nicht nur weitreichende Folgen für die Literaturentwicklung des nächsten Jahrhunderts, sondern beeinflusste auch die „Fruchtbringende Gesellschaft“, eine in Weimar gegründete Sprachgesellschaft, die ebenfalls eine literarische Besonderheit der Zeit darstellte. Ihr Ziel war es, den Krieg durch sprachliche und kulturelle Erneuerung Deutschlands zu beenden.

Es war nicht zuletzt diese literarische Kraft, die nachfolgende Dichter veranlasste, den Dreißigjährigen Krieg als Thema immer wieder neu zu bearbeiten. Das begann 152 Jahre nach Friedensschluss, als im Jahr 1800 kein Geringerer als Friedrich Schiller sein dreiteiliges Wallensteindrama publizierte. Zuvor hatte der Jenaer Geschichtsprofessor inhaltlich einschlägige historische Arbeiten und akademische Vorlesungen vorgelegt.

Im Laufe des historistischen 19. Jahrhunderts entstanden etliche (Trivial-)Romane, die im Dreißigjährigen Krieg spielten, aber im Gegensatz zu Schillers Bearbeitungen heute weitgehend vergessen sind. Der bekannteste aus einer ganzen Reihe ist vermutlich „Maria Schweidler. Die Bernsteinhexe“ von Wilhelm Meinhold. Als vermeintliches Original aus den Jahren 1629/30 schildert er in zeitgenössischer Sprache einen Hexenprozess auf Usedom und erlebte 2017 ein Remake aus der Feder von Lena Johannson.

Als nächstes griff die klassische Moderne den Stoff auf. Alfred Döblin verfasste einen zweibändigen Wallensteinroman, und Bertolt Brechts Drama „Mutter Courage“ belebte mit der Titelheldin eine Romanfigur aus Grimmelshausens „Simplicissimus“ wieder. Last but not least tritt die Courage auch in Günter Grass‘ „Treffen von Teltge“ auf. Ein kurzes Prosastück, in dem Grass die Treffen der Gruppe 47 in ein historisches Gewand kleidete und als Poetentreffen im Jahr 1647 – dem letzten Jahr des Dreißigjährigen Krieges – inszenierte.

In die Gegenwartliteratur schließlich hielt der Dreißigjährige Krieg mit Durs Grünbein Einzug. Sein 2003 erschienenes Versepos „Im Schnee“ berichtet von Descartes’ Neubeuger Aufenthalt während des Krieges. – Damit ist es die Literatur, die das Bild des Dreißigjährigen Krieges als Inbegriff von Schrecken, Gewalt und Verwüstung im kulturellen Gedächtnis lebendig gehalten hat. Sie ist es aber auch, die gerade dadurch bis heute als Mahnung und Abschreckung dient.