Der Lyriker Tristan Marquardt

Von Katrin Diehl

Die Bereiche zu trennen, ist eine Möglichkeit und hat etwas mit Klarheiten und Konzentration zu tun. Sie nicht zu trennen, ist ebenfalls eine Möglichkeit, und zwar vor allem dann, wenn sich alles ganz einfach fügt, eins ins andere greift, sich eines aus dem anderen ergibt, wenn sich Bühnen für Mehrfachkompetenzen öffnen und die Durchlässigkeit zwischen den Kosmen nächste Verse zur Folge haben, kurz: Wenn die Zeit reif ist. „ez ist nu tac, es ist jetzt tags, / daz ich wol mac mit wahrheit jehen, / dass ich wohl mit sicherheit sagen kann, / ich will nicht langer sîn, / ich will nicht langer bleiben. // es ist jetzt“.

Tristan Marqardt ist Mediävist, was nur so halb stimmt. Denn Tristan Marquardt ist Lyriker (und Verleger und Literaturvermittler, Musik legt(e) er – unter dem Namen Simian Keiser – auch auf…), der Name „Tristan Marquardt“ ein Künstlername („so nennen mich mittlerweile alle, außer meinen Eltern und die Studierenden“), und der, der promovierter Mediävist ist, heißt Alexander Rudolph und ist 1987 in Göttingen geboren. Tristan Marquardt mag das Spiel.

Bereiche nicht zu trennen, ist also eine Möglichkeit, und die beginnenden Crossovers sind Ergebnis einer Art neuer Situation, einer veränderten Lage, an deren Beginn der Sammelband „Unmögliche Liebe. Die Kunst des Minnesangs in neuen Übertragungen“ steht, den Tristan Marquardt zusammen mit dem Lyriker und mehr Jan Wagner im Jahr 2017 herausgegeben hat. In ihm brachten Lyriker*innen von heute voller Vergnügen und Eifer mittelalterliche Liebesdichtung in ihr „heutiges Deutsch“. Marquardt führt in dem Band über ein paar Seiten hinweg so klärend wie gewinnend in den Minnesang ein, dass man sich in Begriffe wie „Minneparadox“ und Sätze wie „Die zentrale Kategorie des Minnesangs ist nicht Innovation, sondern Variation“ verkucken könnte. Das Buch bekam viel Aufmerksamkeit und Anerkennung, „und danach war dann plötzlich meine Doppelkompetenz gefragt, ich wurde sowohl von literarischen als auch von akademischen Orten angefragt, was mir gut gefällt und das war dann auch der Punkt, an dem sich etwas zu vermischen begann…“, erklärt er.

Tristan Marquardt ist klar, präzise und schnörkellos ganz gleich, was er sprachlich angeht. Statt von „Inspiration“, die man fürs literarische Schreiben braucht, zu reden, spricht er, der sich in der Tradition der experimentellen Lyrik sieht, lieber von „Interessen“. Zwei Lyrik-Bände gibt es von ihm („das amortisiert sich nicht“ von 2013 und „scrollen in tiefsee“ von 2018), der dritte ist in Arbeit und kann in gewissem Sinne als Fortführung der beiden ersten gelesen werden. Wieder wird es „Auszüge“ aus (Wort-)„Katalogen“ geben, wieder wird es um sprachlich abgebildetes Erfassen einer nächsten und wieder nächsten Ebene gehen, die Dinge, Prozesse umgeben und die mit jeder nächsten Stufe an Eigenständigkeit wie Eigensinn gewinnen.

Marquardt ist ausschließlich Lyriker („habe kein Talent fürs Erzählen“). Sein „Ding“ ist die Frage, „wie Sprache funktioniert“ und „was Lyrik an anderem an Gefühlen, Gedanken vermitteln kann im Vergleich zur Alltagssprache“. Ein wenig, so scheint einem das, befindet die Sprache sich Marquardt gegenüber in einer Beweispflicht. „In meiner Liebe zu ihr, vertraue ich ihr einfach nicht“, sagt er, was das reizvolle Gebiet des Nichtgesagten und trotzdem Transportierten anreißt. Aber Tristan Marquardt spielt auch, lässt Zweizeiler los (und dabei ist er ein sehr langsamer Schreiber, wie er sagt), die sich mit der Einfachheit anlegen: „du schreibst, was du denkst / das du sagst wenn du schweigst“. Und auch fragen geht: „ist ein voller akku schwerer / als ein leerer?“

In der Gegenwartslyrik sieht er noch einiges an Potenzial, was die lyrische Umsetzung der Digitalisierung als Phänomen wie als technisches System in ihrer ganzen Konsequenz angeht. „nächster tab. artikel in wikis, durch die du dich schlägst.“ Oder noch einmal nachgefragt: „wann hört ein neues dokument auf, ein neues dokument zu sein: / wenn man es speichert, wenn man es schließt oder wenn man ein neues öffnet?“ Lyrische Kostprobe

In unserer Serie „Jung und schreibend“, in der wir junge Münchner Autor*innen vorstellen, porträtierten wir bisher Lisa Jeschke, Leander Steinkopf, Daniel Bayerstorfer, Katharina Adler, Benedikt Feiten, Caitlin van der Maas, Samuel Fischer-Glaser, Vladimir Kholodkov, Annika Domainko, Jan Geiger, Ines Frieda Försterling, Rebecca Faber und Natascha Berglehner.