Das Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern lädt seit 40 Jahren zu literarischen Veranstaltungen und mehr ein

Von Katrin Diehl

Wie wird jemand, wie wird etwas zu „einer Institution“? Genau bestimmen lässt sich das sicher nicht. Dass dafür Zeit, Beständigkeit, viel Arbeit vor und hinter den Kulissen vonnöten sind, davon lässt sich ausgehen.

Das Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) München und Oberbayern, seit 2007 – wie Synagoge, jüdische Schule, Kindergarten, die Verwaltung … – am Sankt-Jakobs-Platz zuhause, ist in München und darüber hinaus eine Institution, was viel mit einer sehr bewussten (und nicht ganz unanstrengenden) Öffnung zu tun hat, mit der Einladung an die nichtjüdische „Mehrheitsgesellschaft“ drumherum, doch zu kommen, zu hören, zu sehen, zu verstehen, zu diskutieren, sich zu freuen und  eben die jüdische Perspektive kennenzulernen … Ein Impetus mit gesellschaftlicher Tragweite und eine klare Entscheidung von Ellen Presser, Leiterin des Zentrums von Anfang an (und eigentlich hat man sich da ein Gleichheitszeichen zwischen Kulturzentrum und ihrem Namen zu denken). Ihr gebührt großer Dank für ihre unermüdliche, stetige und nicht verzagende Arbeit, was immer mal wieder gesagt werden sollte, gerne auch ein bisschen lauter und jetzt allerspätestens, denn in diesem Jahr – und noch ist es ja nicht vorüber – wurde das Kulturzentrum der IKG 40 Jahre alt.

Seinen Anfang machte es 1983, ein wenig versteckt, doch voller Reiz und Ambitionen in der Prinzregentenstraße, dort in einem Innenhof in einem denkmalgeschützten, zweigeschossigen Gartenhaus. Zwar war das nicht der erste und einzige Ort, der als Treff, als ein kleines Zuhause, der Münchner jüdischen Community gelten konnte, jetzt aber sollte er zusätzlich für ein Kulturprogramm für alle, jüdisch, nichtjüdisch, stehen (eine Voraussetzung, an die auch die finanzielle Unterstützung der Stadt gekoppelt war). Damals gab es im Publikum noch viele Holocaust-Überlebende. „Und die mussten sich erst einmal daran gewöhnen mit Nichtjuden zusammen im Publikum zu sitzen“, sagt Ellen Presser.

Ellen Presser ist bekannt für ihr „das kriegen wir hin“. Wenn sie nicht gerade in ihrem von Papieren und Büchern überlaufenden Büro sitzt, schreibt, telefoniert …, ist sie in geschäftigen, schnellen Schritten unterwegs durch die Gänge, unterwegs zu Besprechungen, zu Terminen. Schlendern hat sie noch kein Mensch gesehen, und wenn man das Vergnügen hat, ihr zufällig dreimal am Tag über den Weg zu laufen, verspricht sie scherzend „beim nächsten Mal einen Wodka“.

Manchmal sei es so richtig eng geworden, erinnert sie sich, manchmal war es wie in einer Sauna und manchmal gab es Sternstunden. Wie 1988, als André Heller, hoch beglückt über das große Interesse an ihm und seinem Buch „Schattentaucher“, all die Menschen, die sich im Treppenhaus vom „Souterrain“ nach oben „stapelten“, zu sich auf die Bühne holte. „Ihn hatte ich mir über einen Blumenstrauß geangelt; ich hatte ihm den schnell, nach einem ihn sehr frustrierenden Auftritt im Gasteig, ins Hotel gebracht“, erzählt Presser.

Henryk M. Broder war mit seinen Büchern ein immer wieder sehr unterhaltsamer Gast, auch Wolf Biermann. „Der hat bei uns zum ersten Mal vor Publikum, in einer jüdischen Gemeinde über seine Herkunft, den jüdischen Vater, der in Auschwitz ermordet worden ist, gesprochen.“  Auch der Schriftsteller Stefan Heym las und redete, damals noch DDR-Bürger und immer gut für provokante Thesen.  Die Dichterin Ilse Aichinger hatte ebenfalls für einen „brechend vollen“ Saal gesorgt „mit Übertragung nach oben“. Und natürlich Amos Oz, „da mussten wir kurzfristig in die Reichenbachstraße umziehen“. Einige tiefe Freundschaften seien über die Zeit entstanden, sagt Ellen Presser, zum Beispiel mit der Übersetzerin und Autorin Mirjam Pressler, auch mit der Jiddisch-Expertin Evita Wiecki. „Beide sind schon von uns gegangen …“

Auch immer wieder Gast: Michel Friedman, auch Georg Stefan Troller – die Stimme aus Paris – der sich beim letzten Mal, 2019 (damals war er 93), ein wenig verspätete, was nicht weiter schlimm war, denn man hatte ja was zu gucken, bewunderte das kleine Arrangement auf der Bühne: „sein“ Schreibtisch, kleine gemütliche Leselampe …

Längst war man umgezogen an den Sankt-Jakobs-Platz, hatte jetzt große Räume, hatte plötzlich ab den 90er Jahren durch die Zuwanderung der „Kontingentflüchtlinge“ aus den ehemaligen Sowjetstaaten noch einmal ein verändertes Publikum.

50 bis 70 Veranstaltungen bietet das Kulturzentrum im Jahr, darunter viele Lesungen. Presser setzt dabei gerne auch auf Kooperationen mit dem Literaturhaus, dem Lyrik Kabinett, der Universität … Gegenüber ihrer jahrzehntelangen „Chefin“ Charlotte Knobloch, seit 1985 Präsidentin der IKG, empfindet sie Dankbarkeit, „sie hat mich immer unterstützt, hat mir Freiheiten gelassen, mich mit Ideen überrascht“.

Ellen Presser (= Kulturzentrum der IKG) ist eine Institution. Kein Wunder, dass sie es schon sowohl in einen Comicstrip (von Ben Gershon), als auch in einen Roman geschafft hat (Seite 34, Titel? …, nennen wir es ein kleines Literaturrätsel zum 40sten des Kulturzentrums).