Von Krisha Kops

Entschuldigen Sie bitte, dass ich gerade so abwesend war. Wissen Sie, jedes Mal, wenn es Frühling wird, manchmal auch nur, wenn ich einen Blumenstrauß sehe, muss ich an Khushbu aus unserem Dorf denken. Bereits als Neugeborenes, so sagte man ihr nach, ging von ihr ein Duft aus, der das ganze Krankenhaus benebelte, eine Mischung aus Jasmin, Mango- und Ashokablumen, weißem und blauem Lotus, wie die Pfeile aus dem Köcher des Liebesgottes. Kranke vergaßen ihre Schmerzen, Sterbende den Tod und Ärzte wie Krankenpfleger die Behandlungen. Durch Khushbus Adern floss öliges Parfüm, jeder ihrer Herzschläge ein Destillieren der Düfte, ihr Atem Gott Gan.eśas liebster Hibiskus, ihr Schweiß aus Sandelholz, und wenn sie schlief, ummantelte sie der Geruch von Nachtjasmin.

Selbst den Gestank ihres Vaters, eines einfachen Fischers aus dem benach-barten Kochi, überdeckte sie angeblich. Egal, ob er in Fort Kochi die chinesischen Fischernetze aus dem Meer hebelte oder mit den anderen die großen Netze an den Strand zog, sie vom Plastik befreite und Catlabarbe, Buntbarsch, Seebrasse, Tinten- und andere Fische sortierte – kam er nach Hause und nahm seine vergötterte Khushbu in den Arm, so versiegte sein Fischgestank, fielen ihm die restlichen Schuppen von der Haut.

Mit den Jahren musste sie erkannt haben, dass ihr Körper je nach Situation und den sie umstehenden Menschen seinen Duft wandelte. War etwa ihr cholerischer Onkel zugegen, wurde sein oft erhitztes Gemüt von ihrem süßlichen Vetivergrasgeruch dermaßen gekühlt, dass er sich zu Hause zumindest darauf besann, seine goldenen Ringe von den Fingern zu ziehen, ehe er seine Frau grün und blau, lila und rot prügelte. Manchmal, so erzählte man sich, wenn der Geruch des Süßgrases intensiv genug war, vergaß er das Schlagen ganz und gar.

Khushbus Großmutter mütterlicherseits war bereits so erblindet und verwirrten Geistes, dass sie zuweilen den Hausjungen für ihren verstorbenen Mann hielt und ihm zu seinem Leidwesen in seinen Hintern kniff. Der Rosenduft ihrer Enkelin half ihr wohl, nach und nach besser zu sehen und den Hausjungen zu erkennen. Nur half das ihm nicht, da die Großmutter noch immer so umnachtet war (zumindest dachten das alle im Dorf), dass sie ihm trotz allem in den Hintern zwickte, so oft und fest, dass er schließlich den Besen hinwarf und fluchend das Weite der malabarischen Halbinseln suchte. Wissen Sie, man sucht ihn bis heute.

Plagten Khushbus Mutter Bauchschmerzen, strömte der Duft der Schraubenbaumblüten aus Khushbus Poren. Betete sie, umwehte sie ein Sandelholzwind, war sie von Glück beseelt, umwölkte sie eine Harmonie aus den verschiedensten Jasminduftnoten, von arabischen über Stern- und Wald- hin zu Wild- und Winterjasmin. Woher ich das weiß? Das wissen alle im Dorf.

Nicht alles daran war erfreulich, weder die Bienen und anderen Insekten, die sie ständig umsurrten und -flatterten, noch die Jungen, die, als sie in die ersten Jahre ihrer Blüte kam, das gleiche taten. Nach der Schule gingen sie dicht gedrängt, je nachdem, aus welcher Richtung der Wind kam, vor, hinter oder neben ihr, ihre schiefen, langen oder breiten Nasen immer leicht angehoben in ihre Richtung gedreht. Verlor sie eine ihrer wohlriechenden Haarschleifen, zerrten sie an- und zankten sie miteinander, rollten sich prügelnd um das Band über den staubigen Boden, bis die blauen Schuluniformen verstaubt und zerschlissen waren. Nicht nur um Mut zu fassen, atmeten sie tief ein, wenn sie an ihnen vorüberging, und sagten: „Ich … ich kann dich gut riechen.“ Ich gebe zu, auch ich gehörte zu diesen Jungen – selbst wenn ich mich nie um eines ihrer Haarbänder zankte.

Es ist nicht verwunderlich, dass Khushbu bald in einer Parfümerie zu arbeiten begann. Man brachte ihr dort alles über ölige Ittar- und alkoholische Wohlgerüche bei, klärte sie auf über die aphrodisierenden Düfte wie Asant, Kardamom und Vanille, euphorisierende wie Blutorange und Clementine, würzige wie Estragon und Nelke. Der Besitzer, ein kleiner, dick bebrillter Mann mit einem wissenschaftlich-liebevollen Verhältnis zur Herstellung von Parfüms, meinte sofort ein Naturtalent zu erkennen.

Was er trotz seiner dicken Brille nicht erkennen konnte, war, dass es Khushbus eigene Kopf-, Basis- und Herznoten waren, die den zumeist weiblichen Kundinnen die Nasenflügel weiteten. Waren es verträumte Frauen, die sich nach einer Romance sehnten, so umhüllten Khushbu leichtfüßige, blumige Düfte wie Flieder. Wollten sie mehr Leidenschaft in ihrer Ehe, war ihr Geruch intensiver, auf tierischer Basis mit einem Hauch von exotischen Hölzern. Reizte die Frauen das Geheimnisvolle wie Ferne, umspielten Khushbu delikate Aromen wie Schokolade. Auch ich war einer ihrer Kunden, kaufte gerne bei ihr für meine Freundinnen ein, die nicht wirklich existierten, nur um ihrem Duft nahe zu sein.

Was aus ihr geworden ist? Ich bin mir nicht sicher. Manche sagen, sie habe irgendwann zu viel Probleme mit den eifersüchtigen Frauen gehabt und sei nach Mumbai gezogen. Andere sagen, große Parfümmarken seien auf sie aufmerksam geworden, und sie sei für die Arbeit nach Delhi übergesiedelt, wo sie plötzlich aufhörte zu duften. Wie dem auch sei, wie viel kostet das Bouquet nun?

Krisha Kops gewann 2020 den Haidhauser Werkstattpreis des Münchner Literaturbüros.