Von Michael Berwanger

Kunstbücher? NEIN! Künstlerbücher. Leicht verschmitzt lächelt Dr. Lilian Landes, Kunsthistorikerin und Kuratorin der Abteilung Künstlerbücher an der Bayerischen Staatsbibliothek. Das sei das gängige Missverständnis: Kunstbücher vermitteln Wissen über Kunst, ein Künstlerbuch ist das Kunstwerk selbst. Eine Definition für den Begriff Künstlerbücher sei schwierig, meint sie. Eine Variante laute: „Wenn der Künstler sagt, dass es ein Künstlerbuch ist, dann ist es ein Künstlerbuch“. Lilian Landes bevorzugt aber die Definition: „Wenn ich ein Buch in der Hand habe, das sich mir nicht erklärt, das mich nicht an der Hand nimmt, das mir kein Wissen vermittelt und das erst mal Fragezeichen hinterlässt – dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass es ein Künstlerbuch ist.“ Anders formuliert: Ein Künstlerbuch ist Kunst zwischen zwei (Buch-)Deckeln; das Buch ist das Kunstwerk. Und auch hier ist die Frage, was Kunst sei, nicht zu fassen.

Selbst wenn man klösterliche Handschriften des Mittelalters aufgrund ihres hohen kalligrafischen Könnens zu den Künstlerbüchern zählen könnte, gilt der Begriff „Künstlerbuch“ als Bezeichnung erst seit den 1920er Jahren, wo Künstler wie Max Ernst, Henri Matisse oder Pablo Picasso das Medium Buch als unabhängige Kunstform bearbeiteten. Dabei hat sich diese Nische stark weiterentwickelt. Künstlerbücher haben nicht notwendigerweise die Form eines Buches. Es können lose Blätter sein, Leporellos, Zeitschriften oder Endlosrollen. Es gibt sie auf Papier, Stoff jeder Art und auf atypischen Materialien wie Lkw-Plane oder Bleiplatten. Viele Künstlerbücher sind Unikate, aber es gibt auch Verlage, die Serien herstellen, wenn auch meist in kleinen Auflagen und handwerklichen Techniken, wie Handsatz, Holzschnitt oder Radierung. Bei Sammlern genießen Künstlerbücher große Beliebtheit, da die Werke durch Originalität, Authentizität und großes handwerkliches Können einen hohen Wert besitzen, der sich meist mit der Zeit noch steigert. So haben sich im Lauf der Jahre viele Verkaufsausstellungen etabliert, wo Künstlerbücher nicht nur bestaunt und gekauft werden können, sondern auch angefasst – wenn auch mit Vorsicht, mit Glacéhandschuhen und unter den besorgten Blicken ihrer Schöpfer*innen.

Die Buchkünstlerin Annette Vogel kuratiert seit sieben Jahren die „buchkunsttage“ im Lyrik Kabinett in München. Im November hatte sie Künstler*innen aus ganz Deutschland eingeladen, die ihre neuesten Werke präsentierten. Die Bandbreite reicht von der „Pegasus Presse“ aus Augsburg, die originalgrafische Bücher in Kleinauflage publiziert, bis zu „Die gläserne Libelle“ der Barbara Beisinghoff aus Nordhessen, die aus buntem Materialmix furiose Traumgespinste in Buchform collagiert. Eine besondere Rolle im Künstlerbuchbereich spielt die Stadt Leipzig, die traditionell als die Hauptstadt der Buchkunst gelten darf. Anne Deuter und Marianne Nagel vertreten eine neue Generation von Buchkünstler*innen, die auch Dinge wie unsichtbare Schrift oder Tonaufnahmen in ihre Werke einbauen. Während Gerhard Multerer aus Freilassing Dystopien auf Plastikplanen und anderen brachialen Materialen zu Unikaten formt, kreiert Gerd J. Wunderer aus Augsburg Farbschnitte zu Büchern, die sich mit Dach und Gestängen zu drehbaren Karussellen aufklappen lassen. Materialfülle und Drucktechniken kennen (fast) keine Grenzen.

Was alle Künstler*innen eint, ist der Enthusiasmus für die Erschaffung und die Flüchtigkeit, die in dieser Kunstform, dem Medium Künstlerbuch, liegt. Lilian Landes beschreibt es so: „Ich schlage etwas auf, das mich in irgendeiner Weise berührt … und egal was es für ein Gefühl ist – ich weiß: Im nächsten Moment ist es weg. Ich blättere ja weiter. Es hat etwas sehr Momenthaftes. Mit dieser Abfolge, die notwendigerweise durch das Blättern im Buch entsteht, hat dieses Kunstgenre einen ganz besonderen Charakter.“

Unter www.buchkunst-muenchen.de sind alle Künstler*innen der „buchkunsttage“ verzeichnet und mit einem Link auf ihre Arbeiten versehen.

Die nächste Ausstellung mit Künstlerbüchern ist die „9. Biennale Buchkunst Weimar“ am 7. und 8. Dezember 2024 im Congress Centrum Weimar.
Mehr unter: www.illert.com/8-buchkunst-weimar